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Der real existierende Joint

■ Kiffen im Osten: Die Erweiterung des sozialistischen Bewußtseins mit Akkordeonmusik und Mond im Kopf

Wollte man im Osten mehrere Verbote gleichzeitig übertreten, brauchte man nur zu kiffen. Verbot Nummer eins: der Stoff selber. Verbot Nummer zwei: Kontakt mit Studenten aus Afghanistan, deren Kraut einfach besser war als sächsisches Hausgemachtes. Verbot Nummer drei: das Betreten eines Internats, in dem ausländische Studenten zur Devisenaufstockung des Staates für Westmark zur Miete wohnten.

Es war irgendwann 1984. In der Mensa der Leipziger Uni, die damals noch auf den Namen Karl Marx hörte, hatte ich einige Studenten aus Afghanistan kennengelernt. Nachdem einer von ihnen bei einem der geselligen Mensaabende nach dem dritten Bier ganz nebenbei das Wort „Joint“ fallenließ, war mein Interesse an Land und Leuten merklich geschwunden. Einen Joint, einen Joint – endlich würde ich mit zwanzig Jahren meinen ersten Joint rauchen, dachte ich. Doch ähnlich langwierig wie ein Fünfjahresplan gestaltete sich die Vorarbeit. Die Afghanen, die den Stoff auf die Gefahr hin, des Landes verwiesen zu werden, im Flieger geschmuggelt hatten, mußten sicher sein, daß ich nicht zu den Studenten gehörte, deren Nebenfach „Zuarbeit für die Stasi“ hieß.

Nach diversen Biergelagen in der Mensa waren sie sicher, daß ich nicht nur trinkfest, sondern auch vertrauenswürdig bin. Da ich mich allein nicht so recht in die „Höhle des Löwen“ traute, ging ich mit einer Freundin zu dem als „Kulturabend“ mit Folkloremusik und landestypischen Speisen getarnten Kiffabend. An der Pforte des Internats saß an diesem Abend zum Glück ein Student, der es mit der Kontrolle nicht so genau nahm. In dem winzigen Zimmer war zwischen den häßlichen Einheitsmöbeln gerade noch Platz für vier afghanische Studenten, einige Musikinstrumente, riesige Essenstöpfe, meine Freundin und mich.

Ungeduldig suchten meine Augen die wenigen Quadratmeter nach kleinen dunklen Krümeln ab. Fehlanzeige. Erst einmal wurde aufgetischt, daß sich die Sperrholztische bogen. Dann spielten die Gastgeber auf einem Instrument, das eine Mischung aus Akkordeon und Orgel war. Bevor ich so richtig ungeduldig werden konnte, wurde meine Aufmerksamkeit auf eine große Schere gelenkt, die einer der Afghanen in der Hand hielt und mit der er schnurstracks auf den Rücken eines seiner Freunde zuging. Seltsamerweise schien der Typ, auf dessen Rücken der „Scherenmann“ losging, nicht die Bohne beunruhigt zu sein. „Haben die Jungs etwa vor unserem Eintreffen schon gekifft?“ schoß es mir durch den Kopf. Bevor ich eine Antwort auf meine Frage finden konnte, wurde meine ganze Aufmerksamkeit wieder von der Schere in Anspruch genommen. Mit einem gezielten Schnitt wurde das schöne karierte Hemd traktiert. In der dicken Baumwolle war das Dope, schön platt gedrückt, in die Deutsche Demokratische Republik geschmuggelt worden. Neugierig beroch und befühlte ich die klebrige schwarze Masse. Die kurze Diskussion der Afghanen untereinander in ihrer Muttersprache verstand ich so, daß es um die richtige Dosierung ging. Dann war es endlich soweit. Nachdem ich zugeschaut hatte, wie die Afghanen beide Hände um den Joint legten und ganz tief einatmeten, tat ich es ihnen gleich. Entspannt lehnte ich mich zurück und harrte der Dinge, die da kommen würden.

Auf einmal verspürte ich eine ungeheure Lust zu schweigen. Ich hoffte, daß mich keiner ansprechen oder, schlimmer noch, zum Aufstehen auffordern würde. Denn meine Beine und Arme schienen nicht mehr zu meinem Körper zu gehören. Ich fühlte mich irgendwie schwerelos. Bis auf meine Augenlider, die wurden immer, immer schwerer und legten sich schließlich auf meine Augen. Und das war dann der Hammer. Plötzlich „sah“ ich in meinem Kopf den Mond. Der befand sich genau in der Mitte. Machte ich die Augen für einen kurzen Moment auf und dann wieder zu, kreiste ein Raumschiff um den Mond, der wirklich absolut in der Mitte meines Kopfes hing. Ungläubig öffnete und schloß ich die Augen immer und immer wieder. Und jedesmal funktionierte diese Erweiterung meines sozialistischen Bewußtseins. Barbara Bollwahn

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