piwik no script img

■ Im Osten neidet man den West-Bergleuten die Erfolge nicht. Nun bekommen sie Konkurrenz im VerteilungskampfDas Schweigegeld

Der Kampf der Bergleute von Ruhr und Saar hat sich, so scheint es, gelohnt. Helmut Kohl hat für sie noch einmal mehrere hundert Millionen locker gemacht. Die Kumpel riefen „Sieg“ – und schwiegen wieder. Aber der Arbeitsplatzabbau ist damit keineswegs vom Tisch. Nur erfolgt er etwas sanfter als ursprünglich vorgesehen. Über die Sinnhaftigkeit der Subventionen an sich wird nicht mehr gestritten, und die verfehlte Kohle- und Energiepolitik der Bundesregierung ist auch kein Thema mehr. Wieder einmal hat Schweigegeld wichtige Diskussionen beendet. Alle sind zufrieden. Die Bundesregierung hat ihre Friedhofsruhe wieder, und die SPD konnte bei ihren Wählern punkten.

Ist das erkaufte Schweigen der Bergleute und der ihnen politisch Nahestehenden der Preis für ein Entgegenkommen der SPD bei der Zwischen- und Endlagerung des gesamten deutschen Atommülls in Greifswald und Morsleben – also im Osten? Während im Wendland ähnlich wie im Ruhrgebiet Tausende auf die Straße gehen, sind es in Morsleben oder Greifswald allenfalls Hunderte. Das ist für die Bundesregierung natürlich viel bequemer. Derweil schauen viele Arbeitslose aus Ostdeutschland neidvoll Richtung Ruhrgebiet – teils beeindruckt, teils mit Unverständnis. Einen Kohlepfennig für die Braunkohle haben sie nie kennengelernt. Natürlich hat die Braunkohle riesige Umweltschäden verursacht, nicht nur in der Landschaft oder durch die Art der Verbrennung. Trotzdem besteht ein Gefühl von Ungerechtigkeit, wenn nun aus Nordrhein-Westfalen gefordert wird, im Länderfinanzausgleich die Mittel für Ostdeutschland zu kürzen, um so die Kohlesubventionen zu finanzieren. Das vertieft die Kluft zwischen Ost und West.

Trotzdem habe ich nicht den Eindruck, daß die Ostdeutschen den Bergleuten den Erfolg mißgönnen. Es überwiegt eher das Gefühl, eigene Chancen vertan zu haben. Viele fragen sich nun: Warum haben wir nicht die FDP-Zentrale blockiert, als wir entlassen wurden? Wieso hat die Solidarität nicht ausgereicht? Weshalb konnte Bischofferode nicht gerettet werden? Trotz des Hungerstreiks und trotz des Protestmarsches nach Berlin.

Ist es vielleicht so, daß im Osten ein größerer Teil der Menschen nur bis zur Grundstücksgrenze denkt? Wie sonst ist es zu erklären, daß Mobilisierungen und Solidarisierungen größerer Interessengruppen im Osten, anders als in der Wendezeit, heute so schwer sind? Wahrscheinlich haben viele im Osten noch nicht begriffen, daß Lamentieren allein nicht reicht, daß das Leben weitaus ernster ist, als man sich das vorgestellt hat, und daß Engagement und ständiges Einmischen sich lohnt, weil nicht mehr „der liebe, gute Staat“ alles schon richten wird. Bei allen Unterschieden, gibt es aber auch Parallelen zwischen den Ruhrkumpeln, den Bischofferödern und den SKET-Metallern in Magdeburg. Sie alle stehen der „Salamimethode“, der Politik der Erhöhung der Schmerzgrenzen beim Arbeitsplatzabbau, letztlich hilflos gegenüber.

Der Kohlekompromiß hat dieses Problem nicht gelöst, sondern nur verschoben. Seitens der Arbeitgeber und der Bonner Verantwortlichen wird darauf spekuliert, daß jeder noch ein Fünkchen Hoffnung für sich ganz persönlich sieht: „Warum denn ich ...? Warum denn gerade unsere Zeche ...?“ Die Bischofferöder wurden mit ABM- Stellen, die es dann doch nicht gab, geködert. Bei jedem Stellenabbau hoffte jeder, noch nicht dabei zu sein. Das Prinzip „Teile und herrsche“ war erfolgreich. Als die Bischofferöder es merkten, waren sie bereits in alle Winde zerstreut, unfähig zur gemeinsamen Gegenwehr. Man stelle sich vor, alle Kündigungen im Osten wären gleichzeitig erfolgt. Oder alle Kohleschächte im Ruhrgebiet und an der Saar wären mit einem Schlag geschlossen worden. Oder der sogenannte Umbau des Sozialstaates würde nicht mit vielen kleinen Reförmchen, sondern in einer Hau- ruckaktion durchgesetzt. Am Ergebnis würde dies vermutlich wenig ändern, viel allerdings bei den Reaktionen. Niemand hätte es hingenommen, niemand hätte geschwiegen.

Warum fällt der Protest im Osten so schwach aus? Vielleicht haben wir bereits 1989 und 1990 unser Schweigegeld in Form des Begrüßungsgelds und der Währungsunion empfangen. Die Politik des Schweigegeldes machte den Osten gefügig und in der Folge zur Probebühne des Thatcherismus in Deutschland. Längst Erreichtes in Ökologie und Sozialpolitik wurde aufgeweicht, Bürgerrechte wurden beschnitten, die Gewerkschaften geschwächt, die sozialen Sicherungssysteme ausgehöhlt. Wachsende Arbeitslosigkeit wurde zunächst in Kauf genommen, damit die Wirtschaft wieder brummt. Sie brummt aber nicht, nur die Arbeitslosigkeit. Die Erfahrung lehrt: Bei größerer Arbeitslosigkeit sind die Menschen gefügiger, riskieren weniger Widerspruch. Die Angst vor Bespitzelung wurde im Osten durch die Angst vor Arbeitslosigkeit ersetzt. Und die macht passiv. So gesehen könnte der Erfolg der Kohlekumpel auch für den Osten eine Ermutigung sein, wenn er als ein Erfolg mündiger Bürger interpretiert wird.

Gleichzeitig sehe ich allerdings die Gefahr und die Tendenz, daß nur noch Mächtige oder große und starke Gruppen wie eben die Kohlekumpel ihre Interessen durchsetzen können. Was ist mit Minderheiten? Was geschieht mit weniger organisierten Berufszweigen? Was wird mit denen, die keine Lobby haben und die über keine Ressourcen verfügen, um dem Staat etwas abtrotzen zu können? Die aufgrund ihrer Lebensgeschichte bescheidener sind, ihre Forderungen und Ansprüche nicht so laut herausschreien, aber trotzdem für die anderen mitbezahlen müssen? Es scheint, daß wir Ostdeutschen zu leise geworden sind. Es gibt in den letzten Monaten Anzeichen, daß sich dies ändert und der Osten wieder erwacht. Es sieht so aus, als wäre man nicht mehr bereit, alles hinzunehmen, und als sei das Interesse an Politik und an Einmischung wieder gewachsen. Der Osten meldet sich langsam zurück. Vielleicht zu spät, um die Wirtschaft zu retten, aber hoffentlich noch nicht spät genug, um etwas in dieser Republik zu verändern.

Auf jeden Fall werden sich die Kumpel im Ruhrgebiet und an der Saar auf eine härtere Konkurrenz einstellen müssen. Auch andere werden nun ihre Forderungen erheben. Dann wird es sich zeigen, ob alles durch Schweigegelder gedeckelt werden kann oder ob man ernsthaft über neue Problemlösungen diskutieren wird. Hans-Jochen Tschiche

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen