Spröde rotäugige Authentizität

■ Das Private ist „Vertrauenssache“: Im Bonner Kunstverein untersuchen drei KünstlerInnen die Irritationen des Alltags

Von der Schreibtischlampe bis zum Regal ist in diesem Raum alles zweimal vorhanden. Da stehen Fernseher, Betten und Nachtschränke. Doch eine imaginäre Spiegelachse teilt den Raum, und bei aller Gleichheit stellen sich Unterschiede ein in diesem grauen Wohnensemble. Die eine Hälfte erscheint verlassen und weist trotzdem Gebrauchsspuren auf, die andere ist völlig unbenutzt. Die Anonymität der konträren Raumsituationen erinnert an Bilder von Hotels. Iris Häussler hat ihre Arbeit „Xenotop“ im Bonner Kunstverein installiert. In der Ausstellung „Vertrauenssache“ untersucht sie mit zwei weiteren KünstlerInnen Bedingungen des Alltäglichen.

Das „Xenotop“ ist tatsächlich bewohnbar, man kann dort während der Ausstellungsdauer übernachten. Aber wie werden sich BesucherInnen dort fühlen? Vielleicht als Kunstwerk, vielleicht auf einer Bühne, irgendwo zwischen Exhibitionismus und Voyeurismus, von einem deplazierten Raum umgeben. Die Installation von Häussler verkehrt nicht bloß den Kunstverein zum Hotel, sondern schafft damit auch eine merkwürdig fremde Selbstwahrnehmung des Besuchers: Durch die Doppelung der identischen Raumhälften in verschiedenen Zuständen – bewohnt und unbewohnt – verliert man auch die klare Sicht auf die Dinge. Es ist eben eine Vertrauenssache, sich mit den Möglichkeiten der Kunst zu identifizieren.

Iris Häussler, Jahrgang 1962, agiert in ihren Arbeiten mit verschiedenen Mitteln und Erscheinungsformen. Es ist daher absurd, für ihre Installation nach einem Stilbegriff oder gar formalen Kategorien zu suchen. Denn auch die Kunst hat spätestens seit Duchamp der Identitätsverlust ereilt. Was aber keineswegs negativ zu werten ist, da es die BetrachterInnen fordert, sich jeweils neu mit den eigenen Wahrnehmungsbedingungen auseinanderzusetzen. So auch in der Arbeit „Postum“: Überall im Kunstverein sind kleine Erinnerungszettelchen aus dem Büroalltag angebracht. Die darauf stehenden Datumsangaben wirken zunächst utopisch – „Mo. 29. 08. 4137“. Die Zukunft ist jedoch real: Häussler hat einfach Tag und Jahr mit dem Computer errechnen lassen. Durch die Genauigkeit stellt sich ein Gefühl der Vertrautheit ein, selbst im futuristischen Zahlenspiel, dessen konkrete Zeitangaben man ohnehin nie mehr erleben wird.

Die Spannung zwischen Gegenwärtigkeit und Leben dokumentieren auch die Fotografien von Annelies Strba. Die 1947 geborene Schweizerin mißt ihren Arbeiten keinen Kunststatus bei. Erst Freunde haben sie auf den konzeptuellen Gehalt ihres Treibens aufmerksam gemacht. Manisch fotografiert Strba ihre Umwelt, ein riesiger Bildfundus ist daraus im Laufe der Jahre entstanden, von dem nur eine kleine Auswahl im Bonner Kunstverein hängt. Es sind schnappschußgleiche, leicht überbelichtete Aufnahmen mit einer spröden Authentizität in den vom Blitz geröteten Augen: Strba zeigt ihre beiden Töchter in der Wohnung, Homestories zur Vergewisserung des Privaten. Irritierend wird diese schüchterne Idylle in der Koppelung mit Aufnahmen historisch aufgeladener Orte wie Auschwitz oder Hiroschima. Das Format, auf das die Fotos vergrößert werden, korrespondiert wiederum mit dem Bild, das die Künstlerin im Sucher der Kamera wahrgenommen hat.

Bei Cary S. Leibowitz ist es ähnlich schwer, die Grenze zwischen eigener und fremder Lebenswelt festzulegen. Der 1963 geborene Videokünstler hat drei Monitore installiert, die ihn während einer Vorlesung über Kunst zeigen. Doch Leibowitz agiert mehr wie ein Showmaster: Er karikiert die Wirklichkeit und belohnt sein Publikum mit Preisen aus seinem ×uvre für dessen Aufmerksamkeit. Was als Lehrstunde gedacht war, mutiert zum Podium der Selbstdarstellung des Publikums.

Parallel zu den Videos sind überall im Kunstverein Sätze angebracht, mit denen Leibowitz museale Atmosphäre und biographische Angaben vermischt. Die Sentenzen sind schlicht, oftmals auch ein Spiel mit grammatischen Fehlern: „Würden sie für 12 Millionen Mark ihren Namen in Stinky ändern und diesen allen mitteilen?“ Plötzlich sind alle möglichen Daseinsformen machbar, man muß sich nur entscheiden. Leibowitz betrachtet die Monotonie des Alltäglichen mit den Augen eines Alien, der selbst nicht in die Welt eingreifen kann: „Schauen Sie sich die Menschen in Las Vegas an, die ihren Urlaub vor diesen Spielautomaten verbringen. Sie sitzen dort für Stunden. Woran denken sie, wenn sie ihre Hände auf und ab bewegen? Sie machen doch Ferien. Arbeiten sie dann zu Hause in einer Fabrik und machen dort dieselben Handbewegungen?“ Die Faszination am Gegenstand entsteht bei Leibowitz aus der Empfindung für die Fremdheit einer Handlung. Matthias Kampmann

„Vertrauenssache (Iris Häussler, Annelies Strba, Cary S. Leibowitz)“. Bis 13. April, Kunstverein Bonn. Katalog 25 DM