: Shakespeare, mehr geschüttelt als gefühlt
■ Sperrige Inszenierungen und Fernsehserienstars in ländlicher Atmosphäre: Das Volkstheater Luckenwalde spielt Macbeth in der Regie von Anna Langhoff
„Was in aller Welt hat das mit Volkstheater zu tun?“ fragte erbost der Kollege von der Lokalpresse nach der Premiere von Shakespeares „Macbeth“, der ersten Produktion des neugegründeten Volkstheaters Luckenwalde, am letzten Sonntag. Volkstheater, das hat für Thorsten Weckherlin, den künstlerischen Leiter der ehemaligen Tourneetruppe des Berliner Ensembles, die seit der Abwicklung durch das Mutterhaus frei arbeitet und jetzt im restaurierten Bauhaus-Stadttheater von Luckenwalde zumindest für eine Produktion eine Heimat gefunden hat, zunächst keine inhaltliche, sondern vor allem atmosphärische Bedeutung. Was Luckenwalde für ihn interessant macht, ist die Möglichkeit, einem Publikum sein Theater vorstellen zu können, das noch nicht übersättigt ist von Hauptstadtkultur. „Die Frage ,Warum Theater?‘“, sagt er, „hebt sich auf, wenn um ein Publikum gekämpft werden muß und um die Möglichkeit, ihm zu begegnen.“
Ob das so recht gelungen ist? Die örtliche Schülerschaft nahm freilich regen Anteil an den Probenarbeiten. Das lag wohl auch daran, daß mit Markus Boestfleisch, der den Duncan spielt, ein veritabler Fernsehserienstar („Gute Zeiten, schlechte Zeiten“) aufgeboten wurde. Der erwachsene Luckenwalder jedenfalls, so klagten zwei Damen, ist nur durch die Volksmusikkonzerte, für die das Theater sonst genutzt wird, von seinem Fernsehsessel wegzubewegen.
Anna Langhoffs „Macbeth“-Inszenierung hinterläßt einen zwiespältigen Eindruck. Einerseits beeindruckt der konzentrierte Formwille, mit dem sie Könige, Thane und Hexen auf und um das rote, abgeschrägte Podest choreographiert, das Thomas Lerm ihr auf die ansonsten leere Bühne gestellt hat. Andererseits lähmt er die Inszenierung, kann auch nicht drei Stunden lang konsequent durchgehalten werden, und so rutscht die Regisseurin zeitweilig arg ins Konventionelle ab. Dann sieht man nur noch Männer mit Schwertern herumstehen; auch wird Wichtiges gern mal vorn an der Rampe gesprochen, so schlägt der provinzielle Genius loci zurück.
Einerseits gefällt die eiskalte Beiläufigkeit, mit der alles einfach geschieht, weil es nun einmal geschehen muß, andererseits führt sie zu einer Verweigerung jeglicher Entwicklung der Figuren, die dann einfach ausbuchstabiert sind und kein sonderliches Interesse mehr wecken. Unter den Darstellern weiß Michaela Schmidt als einzige die Chancen, die die Inszenierung auch bietet, für sich zu nutzen. Klein und etwas pummelig spielt sie konsequent gegen ihren Typ an und gibt der Lady Macbeth das affektierte Gehabe einer Möchtegerndiva, stets Grande Dame und letztlich doch nur eine Mittelschicht-Aufziehpuppe, rasend vor Ehrgeiz und untergründiger Nervosität. Jede Emotion bleibt tief in ihr verborgen, nur ab und zu zuckt etwas hervor, ein Nervenreflex, mehr geschüttelt als gefühlt.
Christian Suhr legt seinen Macbeth als vollkommen passiven Menschen an. Das tut er so konsequent, daß man ihn irgendwann gar nicht mehr wahrnimmt. Zweiminütiger dünner Applaus im nur knapp zu einem Drittel besetzten Saal. Bei der Premiere hat es Buhs angereister Berliner Claqueure und massiven Zuschauerschwund gegeben, zur zweiten Vorstellung herrscht totale Indifferenz seitens des Lokalpublikums vor.
Vier Vorstellungen sind am Ort angesetzt, dann geht es auf Tournee. Wie soll es weitergehen mit diesem Volkstheater ohne Volk? Man möchte schon gern weiterarbeiten in diesem wunderschönen Haus, in dem man vor lauter Denkmalschutz nicht mal Probenpläne an die Garderobentüren pinnen darf. Aber ob man das Geld wird auftreiben können, um eine Neuproduktion in Luckenwalde zu finanzieren, und ob die Stadt ihren Theaterbau noch einmal kostenlos zur Verfügung stellen wird, steht in den Sternen.
Um sich in Luckenwalde tatsächlich ein eigenes Publikum aufzubauen, um zum Volkstheater zu werden auch mit sperrigen Inszenierungen, würde man jedenfalls kontinuierlich hier weiterarbeiten müssen. Weckherlin, Langhoff und den anderen wäre dieser lange Atem wohl zuzutrauen. Michael Mans
Nächste Vorstellung: 26.4., Wittenberge; 14./15./16., Berlin
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