■ Alle drei sind Mitte Zwanzig und haben doch ein denkbar unterschiedliches Verhältnis zur Politik. Andrea Nahles, Vorsitzende der Jusos, glaubt nach wie vor an Sinn und Notwendigkeit politischer Organisationen. Ihre beiden Gesprächspartner halten dagegen, daß Politik heute vor allem ästhetisch verhandelt wird: „Ihr seht Schwarzweiß, wo es ein bißchen mehr Grau gibt“
Am 12. Februar behaupteten Heike Blümner und Tobias Rapp in ihrem Beitrag zu „Jugend tazzt“ unter der Überschrift „Lieber einen Walk on the wild side nehmen als sich auf der sicheren Seite langweilen“, die Poltikverdrossenheit der Jugend sei vor allem ein Desinteresse an den politischen Institutionen. Schülervertretungen und Parteien seien schlicht langweilig, Rebellion werde dort nur verwaltet, und von Spaß könne keine Rede sein. Für die Juso-Vorsitzende Andrea Nahles war diese Polemik Grund genug, die beiden Autoren zum Gespräch nach Bonn einzuladen, um sie vom Gegenteil zu überzeugen.
taz: Wird man als Juso geboren?
Andrea Nahles: Ich komme eigentlich aus einem unpolitischen Haus. Meine Eltern waren nie in einer Partei. Ich war Schülerzeitungsredakteurin, aber nie Schulsprecherin. Das habe ich immer gehaßt. Ich war auch nicht im Studentenausschuß, aus den gleichen Gründen.
Welche Gründe denn?
Ich bin an der Schule nie in der Rolle der Rudelführerin gewesen.
Jetzt bist Du aber Rudelführerin.
Ja, das ist mehr ein Zufall der Geschichte. Ich habe so eine bestimmte pubertierende Jungskultur, wo Frauen sich dann eingereiht haben und hinterhergelaufen sind, immer als intellektuell langweilig empfunden. Diese Blues- Brothers-Geschichte war nie mein Fall.
Aha, also ein ästhetisches Problem...
Nein, ein kulturelles Problem. Durch meine Arbeit bei der Zeitung merkte ich, daß bei uns 80 Prozent die CDU wählten. Das fand ich gräßlich und entwickelte einen Oppositionsgeist gegen diese Verkrustung und Verstarrung. Dann gab's bei uns eine Bürgerinitiative gegen eine Müllverbrennungsanlage, da war ich sehr aktiv. Die konnten wir verhindern, übrigens mit Hilfe der SPD. Ich habe dann in meinem Dorf einen SPD-Ortsverband gegründet, den gab's vorher noch nicht.
Wenn Du über ökologisches Engagement in der Politik gelandet bist, warum nicht bei den Grünen?
Die Grünen in dieser Stadt waren meine Lehrer. Doch abgesehen davon gab es bei den Jusos eher Diskussionszusammenhänge, die klar nach wirtschaftlichen Interessen fragten, als bei den Grünen. Die gingen mehr von einem friedensbewegten, moralischen, apokalyptischen Politikverständnis aus, das mich nicht angesprochen hat.
Aber was sucht man denn als Linke in der SPD?
Ob Ihr es glaubt oder nicht, in der SPD gibt es mehr Linke als in jeder anderen Partei. Es ist eine große Partei, und es gibt einen strukturierten Kern mit wirklich linken Positionen. Für mich bedeutet das einerseits, für eine offene Gesellschaft einzutreten, andererseits betrifft das den ganzen Bereich der Demokratisierung, die nicht vor ökonomischen Strukturen haltmachen kann. Also, wer einen ökologischen Strukturwandel will, der muß den Einfluß der Banken und Energieversorger beschneiden.
Nun ja, das sind Forderungen, die man nicht gerade mit der SPD verbindet.
Die SPD ist nicht meine politische Heimat, sondern ein politischer Raum für mich, in dem ich agiere, wo ich Verbündete habe, wo es politische Diskussionsstränge und Traditionen gibt, in die ich mich einklinken kann. Das gibt mir Kraft, sowohl intellektuell als auch vom Einfluß her. Wir haben schließlich unsere „Truppen“, die wir bewegen können. Für mich ist Politik keine idyllisierte Veranstaltung. Ich bin für einen Politikwechsel, das geht nur mit Rot-Grün. Und im Osten plädieren wir für Bündnisse mit der PDS. Im Unterschied zu älteren Parteimitgliedern denken die jüngeren mehr in Bündnissen.
Aber das ist doch schon immer so gewesen, daß die Jüngeren in Bündnissen gedacht haben. Trotzdem sind die Jusos immer weiter nach rechts gerutscht.
Also, das stimmt so ja auch nicht. Das gilt vielleicht für die Vorzeige-Jusos, die dreißig Medienköpfe, die immer wieder gezeigt werden. Aber es gibt auch Ausnahmen, vor denen ich großen Respekt habe. Man kann nicht immer nur auf Schröder abheben.
Dein Aufstieg bei den Jusos ging ja ziemlich fix. Du warst recht schnell Landesvorsitzende von Rheinland-Pfalz.
Von außen sieht das sehr bruchlos aus, das war es nicht. Richtig ist aber, wenn man bei den Jusos engagiert ist, kann man sehr schnell in Funktionen kommen. Das liegt daran, daß wir insbesondere in ländlichen Gebieten Strukturschwächen haben.
So einen Aufstieg muß man aber auch wollen.
Ich habe immer ein positives Verhältnis zu Macht und Einfluß gehabt. Ich bin nie ohne Zweifel damit, aber wenn sich die Möglichkeit zu politischem Einfluß angeboten hat, dann habe ich meist zugegriffen.
Ein positives Verhältnis zur Macht, wie sieht so was denn aus?
Ich passe an einigen Stellen einfach ziemlich gut. Ich bin die erste Juso-Vorsitzende seit langem, die wieder in der Öffentlichkeit wahrgenommen wird. Ich habe keine Angst, vor Leuten zu reden, und ich bin sicher auch ehrgeizig. Und ich habe keine Lust, in der zweiten Reihe zu stehen, wenn ich mir auch die erste zutraue. Aber man darf nicht aus den Augen verlieren, daß die Entscheidungsmöglichkeiten auf den unteren Ebenen immer geringer und diffuser werden.
Du hast vorhin von Truppen gesprochen, die Du bewegen kannst. Da drängt sich schon die Frage auf, ob Macht Dir Kicks gibt.
Eure Frage psychologisiert und liegt damit schief. Natürlich hat ein Jugendverband wie die Jusos nicht ohne weiteres die Macht, die Welt aus den Angeln zu heben. Ich sage ganz klar: Wir brauchen mehr Macht, wie haben zu wenig Gestaltungsmöglichkeiten.
Warum sollten wir uns denn in einer politischen Organisation engagieren, deren Machtoptionen immer kleiner werden?
Wenn man so etwas wie Gegenmacht aufbauen will, braucht man eine Organisation. Ohne Organisation keine Gegenmacht. Ich greife auf die Partei als Organisationsform zurück, weil ich denke, daß sich ohne Bewegungen nicht viel bewegt. Bewegung kommt von links. Aber wir brauchen eine Vernetzung mit organisierten Politikformen. Dann haben wir mehr Kraft und können auch mehr Leute ansprechen. Wenn so eine Verbindung nicht funktioniert, werden wir als unorganisiertes Lumpenproletariat von den anderen Kräften an die Wand gedrückt. Eine ästhetische Kritik an den Institutionen – schön und gut. Nur, haben wir sie dadurch schon erledigt? Ohne institutionelle Pflöcke ins politische Feld einzuziehen, wirst du auf Dauer weggepustet. Die Institution ist ein Instrument, um ein Ziel zu erreichen, und ohne ein solches Instrument bleiben dir nur Störmanöver im politischen Feld. Das ist okay, reicht mir aber nicht.
Du hast Dir in deinem Dorf Deinen eigenen Ortsverein gegründet. Das können nicht alle. Und viele Leute wollen nicht in vorgegebene Strukturen, weil sie glauben, daß sie dort ohnehin nichts verändern können.
Indem ich die Institutionen ignoriere, übersehe ich einfach, daß sie unheimlich viel Politik machen und dabei großen Schaden anrichten. Zu sagen, „ich will mich nicht festlegen“ ist doch ein Witz, das ist für mich nur eine andere Formulierung von „ist mir egal“. Nur in der Polarisierung und Zuspitzung von gesellschaftlicher Bewegung können wir wirklich Einfluß kriegen, um etwas zu verändern. Wir versuchen auch kulturell, neue Räume zu besetzen. So haben wir im letzten Sommer ein großes internationales Juso-Festival mit 117 Ländern organisiert.
Ist das die neue Besetzung kultureller Räume durch die Jusos?
Ja, genau. Es gibt nichts Schlimmeres, als wenn man so etwas nur simuliert. Wenn man Pep und Lebendigkeit simuliert, verstärkt das nur den negativen Effekt.
Wie soll denn das aussehen mit der Rückgewinnung des kulturellen Feldes? Ein Juso-Wagen auf der Love Parade?
Nein, das wäre Anbiederung, das überlassen wir dem RCDS. Die Love Parade wollen wir nicht politisieren und schon gar nicht so. Wie wollen wir die Jusos attraktiver machen? Wir haben es mit immer mehr jungen Leuten zu tun, die, wenn sie das Wort Politik hören, sich damit nicht mehr identifizieren wollen. Aber solidarity is an experience before it get's a choice. Nach 15 Jahren Kohl bedeutet Solidarität für die meisten jungen Leute doch nur noch Solidaritätszuschlag. Solidarität zu erfahren ist heute im Zivildienst allerdings auch einfacher möglich als in der SPD. Ein Raum, in dem Solidarität erfahrbar werden könnte, ist nur sehr schwer zu organisieren. Bei den 68ern gab es einen Aufruhr und einen Lifestyle, der einen politischen Kern hatte. Heute haben wir es mit einer Bewegung zu tun, die sich vom politischen Bereich entkoppelt hat. Mit Eurer Kritik an den etablierten Institutionen vertieft Ihr das nur noch. Auf Dauer erledigt Ihr uns damit, Ihr nehmt uns endgültig den Schneid.
Unbehagen wird heute nicht politisch artikuliert, sondern ästhetisch. Muß man da nicht versuchen, auf diesem ästhetischen Feld zu agieren, anstatt das Ästhetische in die Politik holen zu wollen?
Ich glaube, man muß beides machen. Wenn bei uns niemand mehr Andockpunkte hat, dann seht nämlich auch Ihr alt aus. Dann müßt Ihr enorme Kräfte mobilisieren, um nur ganz minimale Dinge umzusetzten. Ihr glaubt ja auch von vornherein, die Drogenlegalisierung sei unmöglich – das stimmt doch überhaupt nicht. Wir haben im Parteiprogramm bereits die Legalisierung von Drogen durchgesetzt. Wir sind auf dem Weg. Da zieht Ihr ein Schwarzweiß ein, wo es ein bißchen mehr Grau gibt.
Ist es nicht politischer, Drogen zu nehmen, als zu fordern, sie zu legalisieren?
Du kannst das eine tun, ohne das andere lassen zu müssen. Wir nehmen Drogen und machen Drogenpolitik. Das ist eine Frage der Verortung. Vieles an Eurem Unbehagen an den Parteien kann ich verstehen. Und wenn Ihr sagt, wir machen unser Ding woanders, dann macht es. Aber pißt uns nicht an, wenn wir Ähnliches an einem anderen Ort machen, wo wir weitaus schwierigere Bedingungen haben, es durchzusetzen. Denn neben der Machtlust ist auch eine große Portion Masochismus dabei. Ich kann nur Politik machen, weil ich bei den Jusos bin, wo ich ein Surrounding habe und einige Frauen, die mir Unterstützung geben.
Aber ist die Struktur der Jusos nicht auch ziemlich hierarchisch?
Die SPD-Strukturen funktionieren, wie Machtpolitik schon immmer funktioniert hat. Es gibt Machtzentren, von denen werden bestimmte Leute ausgegrenzt. Natürlich haben wir ein Demokratieproblem. Aber das würde ich gar nicht auf die SPD beschränken. Bei der CDU ist das noch schlimmer, aber von denen erwartet niemand was anderes.
Ist Dein Job nicht ein permanentes Wegstecken von Frustrationen?
Wenn Du etwas für die 200.000 Leute machst, die keinen Ausbildungsplatz bekommen, wie wir mit unserer Umlagefinanzierung für Ausbildung, ist das für mich mehr als ein kleiner Trost.
Angela Marquart hat sich von ihren Parteifunktionen in der PDS zurückgezogen, weil sie nicht denen ähnlich werden will, die sie kritisiert.
Kann ich verstehen. Ich schließe das für mich auch nicht aus. Das letzte Mal habe ich mit der Parteipolitik bei der Asylentscheidung gehadert...
Wie verkraftet man denn so was wie den Asylkompromiß?
Mich hat damals betäubt, daß ich dagegen angekämpft habe. Wir wurden mit einigen Jusos in der Bannmeile verhaftet, weil wir da gegen Engholm demonstriert haben. Ich mußte ganz schön blechen und war vorbestraft. Vielleicht bin ich aber auch einfach deswegen nicht gegangen, weil ich mit diesem Widerstand nicht allein war. Interview: Heike Blümner und
Tobias Rapp
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen