Wand und Boden: Du bist die Größte, du bist ein Clown
■ Kunst in Berlin jetzt: Sergej Dott, Lise Floistad, Stephan Huber
Auch wenn Ostern gerade vorbei ist: Geht man spät abends die Kollwitzstraße in Richtung Senefelderplatz entlang, und fällt dabei der Blick auf die große Brandmauer des linkerhand freistehenden Hauses, dann sieht dieses zuerst einmal aus wie ein geschmückter Weihnachtsbaum.
„Maisons Mises En Scène“ hieß die Ausstellung nicht zu Unrecht, für die die Hauswand von der Galerie Blickensdorf ursprünglich angemietet wurde. Jetzt bleiben die sieben Bildszenen, die der Alfred-Hrdlicka- Schüler Sergej Dott an ihr installierte, noch ein wenig länger illuminiert. Trotz ihrer farbenfrohen Neonschlangenmontur sehen sie wenig nach Reklame aus. Sie sind bunter und reicher an Details, als es Werbesignets jemals sein dürfen. Vor allem aber sind sie erzählfreudiger.
Über die „Zeitangst“ wird berichtet, wenn ein gelbes Flugzeug, an einem rosaroten Fallschirm hängend, auf die grüne Erde niederstürzt. Die „Gesundheit“ verkörpert ein krummer Adam, dessen rotes Herz und grüner Magen kräftig durch den Körper nach außen strahlen. Ihm gegenüber ist eine Eva postiert, die von den Worten „Kampf“ und „Appetit“ umrahmt wird. Es sind einfache Alltagsallegorien, die der russische Künstler inszeniert, und darum wundert es einen nicht, wenn am Ende über allem das von blauen Tränentropfen umgebene Auge Gottes thront. Daß Neon und Religion nahe beieinander liegen, wissen nicht nur die westlichen Werbefachleute. Inzwischen bringt auch schon die russisch orthodoxe Kirche ihre Ikonenwände mit pulsierenden Neonlichtströmen in Bewegung.
Dott allerdings distanziert sich von dem einen wie dem anderen Vorwand und differenziert ihn, indem er den Untergrund bemalt, auf den die Leuchtröhren montiert sind. Das Licht, das auf diesen Farbhintergrund strahlt, vermischt sich mit ihm und verändert sich. Das ergibt mehr Bild als Werbeplastik.
Bis Mitte April, Kollwitz-, Ecke Metzer Straße
Bei Lise Floistad ist der religiöse Bezug noch deutlicher, hat man ihn erst einmal erkannt. Er steckt vor allem im streng symmetrischen Muster der Wandtapete und der Bilderrahmen. Zunächst nicht unmittelbar einsichtig, lernt man bei genauerem Hinsehen und beim Vergleich mit früheren Bildmotiven, daß dieses Muster aus verräterischen erotischen Details alter religiöser Barockgemälde besteht, die Floistad isoliert, kontert, vervierfacht und zur Endlosschleife zusammensetzt.
Floistad wurde in Kalkutta geboren, wuchs in Indien auf, bevor sie mit sieben Jahren nach Norwegen kam, woher ihr Vater stammte. Mit neun zog sie mit ihrer Familie nach Spanien. Aufs College ging sie in Amerika, ihren M.A. machte sie in Australien, und als australische Stipendiatin kam sie 1990 auch ins Bethanien; heute lebt sie in Valencia. Buddhismus, Katholizismus, Protestantismus sind als Unterströmungen ihrer Arbeiten auszumachen, deren offenkundiges Motiv weibliche Ansichten zu Sexualität, Verführung und Begehren sind. Feminismus wäre den einfließenden Größen hinzuzurechnen.
Unter dem Titel „Queenswear“ hat Floistad bei der Galerie Rainer Borgemeister einen Raum austapeziert und davor kleinere und größere Rahmengevierte gehängt, die in Wachs eingebettete Objekte wie ein Büschel Haare, einen Stein, Eierschalen oder einen Leinenstreifen enthalten. Das pigmentierte Wachs, das von Schwarz bis Weiß oder Grün bis Gelb changiert, scheint die Dinge wie Wasser emporzutragen. Im Nebenraum ist die zärtliche Geste, die die alten Meister den Händen ihrer Protagonisten gaben, in Brokat gefaßt. Stark vergrößert, die Fingernägel rot lackiert, die Haut scheinbar mit feinen, dichten Linien genadelt, macht Floistad in diesen Gesten das Latente manifest, tackert Schmerz und Lust an die Wand.
Bis 19.4., Mi–Fr 15–19, Sa 12–19 Uhr, Hackesche Höfe IV
Die wahnwitzige Lust, die Stephan Huber dem Besucher im Projektraum Berlin verschafft, ist es, mit einem Schritt vom Zwergen zum Riesen zu mutieren und Gullivers Reisen in fünf Sekunden zu durchleben. Für die zweiteilige Arbeit hat der Münchner Künstler eine neue Wand in den Projektraum eingezogen, die ihn in einen vorderen, einsehbaren, und einen hinteren, verborgenen Teil trennt. Durchlaß vom vorderen in den hinteren Teil gewährt eine sauber gearbeitete, winzige, weiß gestrichene Holztür, durch die man sich zum eigenen Erstaunen hindurchwinden kann.
Kaum hat man das geschafft, steht man unter einem riesigen Herrenhut, irgendwie überwältigt, irgendwie beschützt, und dann hört man in diesem abgedunkelten Bereich eine Frauenstimme aus dem Innern des Huts heraus: „Mit dir wird es schlimm enden, wir lieben dich, wir glauben an dich, wir liefern dich aus“ etc. Der Hut stammt noch von der Installation „Melancholische Skulptur“; damals, 1984 im Lehnbachhaus, lag er reisefertig auf mehreren Koffern. Jetzt heißt er „Ichkuppel“, wirkt aber letztlich nicht weniger melancholisch. Du bist die Größte, du bist ein Clown: Man wächst und schrumpft unwillkürlich mit dieser Saga und wird selbst zum beweglichen Material des Künstlers. Merkwürdig, daß man sich so schnell in die kleine Tür verliebt, die einen doch zuallererst in die Knie zwingt.
Bis 3.5., Do–Sa 14-19 Uhr, Auguststraße 35
Brigitte Werneburg
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