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Die Abgründe des Langweiligen

■ Der Regisseur David Lynch über Frauen, den Horror im Vorgarten und seinen neuen Film „Lost Highway“

Mit dem Elefantenmensch gewann David Lynch 1980 einen Oscar, spätestens mit Blue Velvet und ganz sicher mit Wild at Heart die treue Gunst des europäischen Publikums. Lynchs bizarre Leinwandatmosphären, seine von obskuren Mächten zusammengestauchten Figuren, sogar seine Requisiten werden seither gerne und ausgiebig kopiert. Mit Lost Higway, der heute in die Hamburger Kinos kommt, rückt er nun eine düstere Seelentopographie ins Bild, die die Rezensentenwelt schwitzen läßt. Die klaustrophobisch inszenierte Geschichte rund um die pralle Weiblichkeit (Patricia Arquette), den Saxophonisten Fred (Bill Pullmann) und seine mörderische Schizophrenie wird umjubelt oder auf den Mond verflucht. Hier ein Interview mit dem Zankapfel. taz:In den USA wird für ihren Film „Lost Highway“auf den Verleihplakaten mit vernichtenden Kritikerzitaten geworben wie „Daumen runter“, „konfuse Bilderschau“oder „Langweiler Lynch“. War das Ihre Idee?

David Lynch: Ist doch mal etwas anderes.

Oder wahre Avantgarde. Viel verdient haben Sie mit Ihrer Arbeit ja nie. Ob „Blue Velvet“, „Wild at Heart“oder die TV-Serie „Twin Peaks“– die Kassen klingelten erst für Ihre Epigonen, die sich für „Pulp Fiction“oder „Picket Fences“bei Ihren visuellen Ideen bedienten.

Ich weiß nicht, ob man das so sagen kann. Mancher hat sich vielleicht von Oberflächenreizen „inspirieren“lassen, aber ich versuche mit meiner Arbeit grundsätzlich etwas tiefer, in das Unbewußte des Zuschauers, vorzustoßen. Andererseits, gegen die Einnahmen von Pulp Fiction würde ich mich auch nicht wehren.

Dafür haben Sie ja jetzt einen echten Star dabei. Wie kamen Sie denn darauf, mit Bill Pullman das langweiligste Kino-Gesicht Amerikas für die Hauptrolle auszuwählen.

In seinen Augen habe ich immer auch die Fähigkeit gesehen, in menschliche Abgründe vorzustoßen. Wenn das ein eher normal aussehender Mann spielt, hat das für den Zuschauer etwas Glaubwürdigeres, als wenn die Rolle jemand verkörpert, der von vornherein sehr schräg wirkt.

Und was sehen Sie in Patricia Arquette?

Alles. Mutter, Femme fatale, Lust, Alterslosigkeit, Kraft, viel Kraft.

Die braucht sie auch. In einer Szene wird sie zu einem Striptease gezwungen. Eine männliche Machtphantasie, wie sie in fast jedem Ihrer Filme vorkommt.

Also, ohnmächtige Männer können Sie bei mir auch zur Genüge sehen. Ich denke, daß sich in der Strip-Szene aus Lost Highway die Machtverhältnisse allmählich umkehren. Diese Szene demütigt die Männer, nicht Patricia.

Die Macht der ausgestellten weiblichen Erotik, vor der der Mann als eigentlich Unterdrückter darniederkniet – eine ziemlich krude Vorstellung.

Ich würde mir nicht anmaßen, zum Thema Frauen etwas Kluges zu sagen. Ich verstehe sie nicht. Ich verstehe Beziehungen nicht und finde auch niemals die Balance, die es irgendwo zwischen Männern und Frauen geben soll.

Anders, als es auf den Plakaten für „Lost Highway“wirkt, reagieren Publikum und Kritik auf Ihre Filme oft euphorisch. Manche sind aber auch ziemlich verstört und nennen sie vor allem wegen der Gewaltszenen krank.

Wären sie nur krank, würden sie nicht funktionieren. Man braucht mehr als Schocks, um die Menschen in ihren Kinosesseln zu halten. Ich bin doch kein Manipulator, der den Menschen mit ein paar gelungenen Strippenziehereien einen schlechten Abend bereitet. Was mich fasziniert, ist der Versuch, Ideen, Worte und Musik in die wundervolle Kunst zu übersetzen, die wir Kino nennen.

Ist Furcht ein dominantes Gefühl für Sie?

Ich glaube, das ist es für jeden von uns. Beim Filmen ist Furcht ein ständiger Begleiter. Alles muß perfekt sein. Es gibt so viele unwiederbringbare Momente, jeden Tag. Und am Abend vermengt sich die Euphorie des Gelingens mit der Angst vor dem, was morgen schiefgehen könnte.

Und manchmal wartet das Grenzerlebnis vor der eigenen Haustür, wie in „Lost Highway“. Was sehen Sie eigentlich, wenn Sie bei sich zuhause aus dem Fenster schauen? Sind Sie ein Fenstergucker?

Jedes Fenster, jede Tür, jeder Vorhang, Spiegel – all diese Dinge wecken den Detektiv in mir. Wenn ich bei mir herausschaue, passiert immer etwas, das meine Phantasie anregt. Stellen Sie sich vor: Ich stehe an meiner Tür und sehe draußen einen Mann, der auf der Straße steht. Ich habe die Tür nur ein schmales Stück geöffnet und bemerke ihn plötzlich – ohne zu wissen, ob er mich überhaupt gesehen hat. Aber er schaut in meine Richtung. Dann steckt er etwas in den Briefkasten, steigt in sein Auto und fährt davon. So etwas macht mich ganz wirr, und die Maschine in meinem Kopf geht wieder los. Manchmal wird daraus sogar ein Film...

Fragen: Peter Nidetzki

Eine Filmkritik zu „Lost Higway“finden Sie im Querschnitt

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