: Nieder mit der Niedlichkeit! Von Karl Wegmann
Junge Hunde sind niedlich, keine Frage. Wer einmal aus einem Wurf Welpen den hübschesten aussuchen mußte, weiß, wovon ich rede. Selbst der häßlichste Schrottplatzköter war mit acht Wochen wunderschön – das kann zum Problem werden.
In der ersten Woche waren sie noch angenehm, die spitzen Schreie der Entzückung. „Ist der süüß“, hieß es alle zwei Minuten, wenn wir den kleinen Kerl Gassi führten. Von der Rentnerin bis zum Kleinkind: Alle, wirklich alle blieben stehen, um das weiß- braune Knäuel zu streicheln. In uns wuchs so etwas wie klammheimlicher Besitzerstolz. Dann fing die Fragerei an: „Wie alt ist er denn?“ (10 Wochen), „Was ist das für eine Rasse?“ (Jack Russell), „Wie groß wird der?“ (Nicht sehr groß), „Wie heißt er denn?“ (Paddy) „Nach Paddy Kelly?“ (Nein, nach Paddy Clarke), „Ist er schon stubenrein?“ (Nein), „Wo haben Sie den her?“ (Von einem Züchter in Gronau). Immer die gleichen Fragen. Regina und ich zogen ernsthaft in Erwägung, Fragen und Antworten auf Kärtchen drucken zu lassen.
Nach zwei Wochen wurde die Sache kritisch. Inzwischen kannten alle im Viertel unsere Töle. Man selbst wurde gar nicht mehr gegrüßt, immer hieß es nur: „Hallo Paddy!“ Jetzt kam auch der Zeitfaktor ins Spiel. Der morgendliche Gang zum Kiosk für die Tagesration Zeitungen und Zigaretten dauerte ohne Hund knapp fünf Minuten, mit Hund zwischen 20 Minuten und einer dreiviertel Stunde. Aus der „Stunde im Park“ wurden oft drei. Denn hier traf man all die anderen Hundebesitzer, und es wurde gefachsimpelt. Zwölf bis 20 Zweibeiner, ebenso viele Tiere. Die Köter toben, die Menschen reden ausschließlich über Hundefutter, Hundeerziehung, Hunderassen, Hundekrankheiten, Hundehalsbänder... Jeden Tag, stundenlang. Die Hölle! Hinzu kamen die Gerüchte. Jemand hätte E-605 ausgestreut, hieß es, oder ein Mann mit vergifteten Fleischbällchen mache die Parks der Stadt unsicher. Jeder Spaziergänger wurde aufmerksam beobachtet. Und ich dachte: Wenn jetzt einer daherkommt und eine Bulette aus der Tasche zieht, werden sie ihn in nullkommanix an der nächsten Birke aufhängen.
Als Paddy dann immer mehr wie ein Hund und nicht mehr wie ein Plüschtier für 19,95 Mark aussah, glaubten wir uns der Erlösung nahe. Weit gefehlt! Jetzt hieß es: „Was kostet so ein Hund?“ „Wollen Sie ihn verkaufen?“ Ein Althippie wollte tauschen. „Du bekommst dafür meinen Zappa, astreiner Hund, zwei Jahre alt, prima Wachhund.“ Zappa war ein sabbernder Rottweiler mit bösen Augen. Ich lehnte dankend ab.
Wir ergriffen Gegenmaßnahmen. Zum Kiosk um halb acht, denn dann waren die Hundefreunde entweder noch nicht wach oder damit beschäftigt, ihre Kinder für die Schule abzufertigen. Zwischen zwölf und eins in den Park (Mittagessenszeit) und abends Punkt acht („Tagesschau“) raus. Und niemals am Sonntagnachmittag. Allein, es half nicht viel.
Wir sind uns längst einig: Der nächste Hund wird ein riesiges, häßliches, stinkendes, fauchendes Monster, das jedem Passanten, der auch nur zuckt, den Arm abreißt. Und noch eine Nachricht an den Althippie: Melde Dich! Wir müssen uns unbedingt noch einmal über Zappa unterhalten.
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