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Die Gesten entgleisen

■ Am Wühltisch der Avantgarde: Tanzprojekt von Frauke Havemann/Detektor am Halleschen Ufer

Mit allen Mitteln verabschiedet sich das Film- und Tanzprojekt „Imitation of – Imitation of“ von der Fiktion des Authentischen. Da sind nicht nur die Affekte abgetragen wie ein Kleid aus zweiter Hand, sondern auch die Ausdrucksformen zusammengeliehen. Wir begegnen: futuristischen Bildgewittern auf der Leinwand, Lana Turner bei der Probe, Lulu und Tina Modotti, Frankensteins Braut und buñuelverdächtigen Bildern. Zwar ist das Personal nicht so eindeutig identifizierbar, wie eine Pressemitteilung es nahelegt; aber daß Film-, Text- und Bewegungsschnipsel vom Wühltisch der filmischen Avantgarde stammen, ist unübersehbar.

Das Konzept für den Abend, der Arbeiten der New Yorker Filmemacherin Abigail Child und der amerikanischen Choreographin Sally Silver zusammenbringt, stammt von Frauke Havemann von der Berliner Gruppe Detektor. Havemann selbst trägt die Episode „Tripping on the Tongue“ bei, von zwei durchgedrehten Bräuten im weißen Rüschenkleid, deren Gesten entgleisen und verrutschen. Wie eine aufgezogene Puppe trippelt die eine durch den Saal, rennt gegen die Wand, rumpelt gegen die Tischkante, bis ihr erhobenes „Port des bras“, das Rund der Arme, gar nicht mehr an einen luftigen Blumenkranz erinnert, der das Gesicht wie ein Medaillon rahmt, sondern eher an eine welke Ranke, die ihr bald die Luft abschnürt. So wird die Differenz zwischen dem unerreichbar schönen Schein und den eigenen Schwitzflecken einfach und brutal auf den Punkt gebracht.

Saskia Taeger verbindet Szenen und Medien des Abends. Sie zerlegt Mimik, Gestik und Sprache des „Theaters“ in absurde Codes, die zufällig und beziehungslos nebeneinander herlaufen. Nach dem Muster von filmtechnischem Abfall, in dem aneinandergeklebte Reste den Schauspieler ständig zur dramatischen Geste ansetzen lassen und mitten im Wort abbrechen, erzählt sie eine Story, ohne von der Stelle zu kommen. Nie wird die aufgebaute Spannung gelöst.

Das ist auch der (auf die Dauer ermüdende) Trick der Filme von Abigail Child, die voyeuristische Perspektiven und Momente von Suspense in verregneten schwarz- weißen Bildern sekundenschnell montiert. Wie in einem nicht mehr rekonstruierbaren Fundstück fehlen Bilder, zerbricht der Bewegungsfluß. In Silvers Film „Little Lieutenant“ wird dieses Hängenbleiben und Stolpern noch einmal von den Tänzern gespielt. Lustvoll kostet sie die Imitation expressionistischer und futuristischer Filmbilder aus, ohne den historischen Abstand zu verleugnen. Dieses elegante Ausbalancieren zwischen Fundstück und Neuinterpretation fehlte ihren tänzerischen Solos: Sie erinnerten mich an eine ungelenke Schönheitsgymnastik im Wohnzimmer, bei der einem besser niemand zusieht. Katrin Bettina Müller

Heute und morgen, 21 Uhr, Theater am Halleschen Ufer

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