Das Portrait: Die Seele des zivilen Ungehorsams
■ Sanar Yurdatapan
Immer wieder kamen die Faxe mit der Aufforderung, sich an Straftaten zu beteiligen. Wir verlegten zu Hunderten die Aufsätze angeklagter Autoren. Wir taten alles, um die politische Justiz der Lächerlichkeit preiszugeben. Die Faxe trugen immer den gleichen Absender: Sanar Yurdatapan. Der 55jährige Komponist ist die Seele des zivilen Ungehorsams in der Türkei. Ein Energiebündel, das von Initiative zu Initiative hetzt und dem die Säle des Staatssicherheitsgerichts bestens vertraut sind.
Nun haben sie ihn wieder eingesperrt. Als er aus Deutschland zurückkehrte, wurde Yurdatapan auf dem Istanbuler Flughafen festgenommen. Vergangenes Jahr schickten sie ihn hinter Gitter, weil Yurdatapans Musik in einer Sendung des in Europa ausgestrahlten kurdischen Senders Med-TV erklang. Doch die Staatsanwälte verbrennen sich an ihm stets die Finger. Der kleine, gesprächige Mann schafft es immer wieder, aus der Rolle des Angeklagten herauszuschlüpfen und zum Ankläger zu werden. Wahrheit und Aufrichtigkeit als Waffe gegen ein Regime, das Mörder erwiesenermaßen deckt und die Intelligenz in die Gefängnisse sperrt.
Während des Militärputsches 1980 befand sich Yurdatapan auf einer Tournee in Europa. Wegen „antitürkischer Propaganda“ erkannten die Putschisten ihm die türkische Staatsangehörigkeit ab. Erst 1991, nach 11jährigem Exil, konnte Yurdatapan in die Türkei zurückkehren. Und seit dieser Zeit sorgt er für Unruhe bei den Herrschenden. So durch die Initiative „Freiheit den Gedanken“, ein Buch, durch das die Staatsanwälte sich genötigt sahen, einen Massenprozeß gegen bekannte Schriftsteller, Schauspieler und Professoren zu eröffnen. Oder durch die Initiative „Zusammen für den Frieden“, deren Sprecher Yurdatapan war. Ohne ihn ist eine Bürgerinitiative wie Brot ohne Salz. Doch die wird wohl diesmal nötig sein – um ihn aus dem Knast wieder rauszuholen. Ömer Erzeren
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