: Zur Hausmacht gehört die eigene Zeitung
Premierminister Wiktor Tschernomyrdin macht es vor: Wer in der russischen Politik etwas werden will, braucht mehr als nur politischen Sachverstand. In der neuen Elite geht der Trend zum eigenen Medienimperium ■ Aus Moskau Klaus-Helge Donath
Fünf Milliarden US-Dollar soll das Privatvermögen des russischen Premierministers Wiktor Tschernomyrdin inzwischen betragen. Das behauptete kürzlich die eher regierungsnahe Zeitung Iswestija. Als er 1992 sein Amt antrat, seien es noch bescheidene 25 Millionen gewesen. Die Quelle war eher dubios. Das Blatt druckte einen Beitrag der Pariser Tageszeitung Le Monde ungeprüft nach, der sich auf eine Anfrage im US-amerikanischen Kongreß und Angaben einer Washingtoner Boulevardzeitung stützte.
Wagit Alekperow, der Chef des größten privaten Ölkonzerns Lukoil, drohte umgehend Sanktionen an: Die Firma überlege, ob sie ihre Aktienanteile an der Iswestija nicht besser abstoße. Das würde das Flaggschiff des russischen Journalismus in erhebliche Turbulenzen stürzen. Lukoil und seine Tochtergesellschaften kontrollieren immerhin 42 Prozent der Aktien.
Woher rührt die hochgradige Sensibilität? Rohstoffproduzent Lukoil zählt zum engeren Kreis der Geschäftswelt, deren Interessen Wiktor Tschernomyrdin auf Regierungsebene bisher tadellos vertreten hat. Schließlich ist er als langjähriger Chef des Gasmonopolisten „Gasprom“ ein Mann vom Fach.
Der Vorfall steht für eine allgemeine Tendenz auf dem russischen Medienmarkt: Banken und Konzerne kaufen sich immer häufiger bei Print- und elektronischen Medien ein. Die Zeiten, als Bankiers noch ein Automobil der Luxusklasse reichte, um Konkurrenten ihr Geschäftsgeschick zu demonstrieren, sind passé. Heute sollte es zumindest eine überregionale Zeitung sein.
Die mächtigsten Vertreter der jungen Elite Rußlands haben fast alle im Medienbereich erfolgreich Fuß gefaßt. Zum Beispiel Boris Beresowski: Zur Zeit dient er als Stellvertreter im Sicherheitsrat Präsident Jelzins. Offiziell ruht seine Geschäftstätigkeit. Zuvor hatte er die Teilprivatisierung des größten russischen Fernsehsenders ORT betrieben, wobei er eigene Interessen nicht ganz vergessen haben soll. Danach erwarb er ein Kontrollpaket der Tageszeitung Nesawissimaja Gaseta und kaufte sich bei der Zeitschrift Ogonjok ein. Ganz nebenei sicherte er sich noch ein Viertel der Aktien des privaten Fernsehkanals TV-6.
Beresowskis Geschick und Sammelleidenschaft gelten selbst unter Großmoguln als beispiellos. Nur einer reicht ihm noch das Wasser: Wladimir Gussinsky, der ehemalige Chef des Finanzkonsortiums Most. Der frühere Theaterregisseur fing als Computerhändler an, bevor er die Most-Bank gründete und das Fundament für Rußlands größtes privates Medienimperium legte. Sein Fernsehsender NTV war der erste unabhängige Kanal des Landes, der sich durch fundierte und regierungskritische Berichterstattung auszeichnete. Damit war im letzten Jahr erst einmal Schluß. Es galt, die Wiederwahl Boris Jelzins zu sichern. Fast alle Medien zogen damals an einem Strick.
Gussinsky, der mit der Tageszeitung Segodnja und dem Magazin Itogi auch über einflußreiche Printmedien verfügt, mußte nicht lange warten, um die Früchte seiner Loyalität einzufahren. Umgehend erhielt er die Lizenz, NTV landesweit und rund um die Uhr auszustrahlen. Binnen weniger Monate startete das Kabel- und Statellitenprogramm NTV-Plus.
Die Präsidentschaftswahlen markieren eine Zäsur auch im Pressewesen. Die Eigentümer hatten erkannt, welch gewaltigen Einfluß sie ausüben. Dergleichen verleitet, solange Kontrollmechanismen fehlen, dazu, Medien wieder als reine Instrumente der eigenen Interessen zu betrachten.
Das liegt um so näher, wenn Presseerzeugnisse keinen Profit abwerfen. Nur die wenigsten Zeitungen schreiben in Rußland schwarze Zahlen. Doch im Unterschied zum Westen geht es den neuen russischen Verlegern gar nicht um den Gewinn. Den erwirtschaften sie ohnehin in anderen Bereichen. Nur Gussinsky macht da eine Ausnahme. Ganz obenan rangieren Prestige und politischer Einfluß. Aus ökonomischer Sicht unrentable Investitionen zahlen sich auf lange Sicht dennoch aus. Wo Geschäftemachen noch aufs engste mit der Politik verknüpft ist, mag ein unfreundlicher Beitrag bürokratische Hürden beseitigen, Genehmigungen beschleunigen oder direkten Druck auf die Politik ausüben. Je mehr Medien in einer Hand konzentriert sind, desto effektiver. Wer in Rußland als Sponsor einer Zeitung auftritt, beweist vortrefflichen Geschäftssinn. Die Banken in Sankt Petersburg haben sich mit den lokalen Tageszeitungen darauf geeinigt: finanzielle Unterstützung gegen wohlwollende Berichterstattung.
Als einer der großzügigsten Sponsoren tat sich „Gasprom“ hervor. Der Gasgigant subventionierte neben der Gewerkschaftszeitung Trud auch die Komsomolskaja Prawda. Mit 1,6 Millionen Auflage täglich ist sie die drittgrößte Zeitung des Landes. 12 Millionen US-Dollar butterte das Unternehmen allein in den letzten beiden Jahren dazu. Der Konzernvorstand verschleiert die Absichten nicht: Zuschlag erhielten solche Medien, die dem Wohle Rußlands dienten, sprich: den Monopolinteressen der Gasschürfer, die auch weiterhin den Rohstoffpreis diktieren wollen. „Dafür wurden die Leser mit einer ganzen Serie von Lobpreisungen des Unternehmens und des Moskauer Bürgermeisters Luschkow traktiert“, klagt der Vorsitzende der Komsomolskaja, der unlängst einen Deal mit der Uneximbank einfädelte. 20 Prozent der Aktien möchte er der Bank verkaufen, die auch kein Unbekannter leitet. Der schwerreiche Wladimir Potanin saß bis März als Vizepremier in der Regierung.
Den Redakteuren gefällt der anstehende Wechsel des Hausherrn nicht. Ihr Protest richtet sich gegen die Person Potanin und seine Tätigkeit als Banker. Ansonsten hat man sich damit abgefunden, gewisse Einschränkungen der journalistischen Unabhängigkeit hinzunehmen. Für den Dekan der Publizistischen Fakultät an Moskaus staatlicher Universität (MGU), Jassen Sassursky, liegt hier das generelle Übel: „Solange die Medien keinen Gewinn abwerfen, leben Journalisten auf Kosten ihrer Sponsoren. Da überlegt man schon, was man schreibt.“ Will eine Zeitung auf Dauer profitabel sein, müsse sie das Vertrauen der Leser erwerben. „Soweit sind wir noch nicht. Selbst wenn die Auflage sinkt, leben unsere Journalisten weiterhin recht passabel“, meint Sassursky.
Der Medienwissenschaftler diagnostiziert eine vermeintliche Krankheit unter Journalisten. „Sie wollen immer einer politischen Kraft dienen.“ Hätten sie sich einmal entschieden, verschrieben sie sich dieser mit Haut und Haar.
In einer Studie der Friedrich- Ebert-Stiftung aus dem Jahre 1995 fürchteten über die Hälfte der führenden Journalisten, daß Herausgeber, Finanz- und Wirtschaftsunternehmen eine potentielle Bedrohung der Pressefreiheit darstellten. Dennoch rangierte die Kontrolle von Politik, Staat und Wirtschaft in ihrer Prioritätenliste weit abgeschlagen auf den unteren Rängen. In ihrem Selbstverständnis, Positives aufzuzeigen und zu belehren, hielt sich die Mehrheit der Journalisten noch an die Vorgaben der alten Sowjetschule.
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