: „Sie können das Ganze vergessen“
Gestern ist nicht nur der Steuergipfel geplatzt, sondern wahrscheinlich die ganze Steuerreform. SPD-Chef Lafontaine wird dafür sorgen. Er hält die Zügel in seiner Partei fest in der Hand ■ Aus Bonn Markus Franz
Nur einer schien aufrichtig betrübt zu sein, daß die Steuergespräche zwischen Koalition und SPD gescheitert sind. „Ich bin tief betroffen, daß denkbare Teilschritte abgelehnt worden sind“, sagte der brandenburgische Ministerpräsident Manfred Stolpe. Er war wohl der einzige, der noch an eine Einigung geglaubt hatte.
Schon zu Beginn der Verhandlungen war klar, daß die Koalition nicht mehr auf eine Einigung setzt. Eine Pressemeldung zum Scheitern der Gespräche war bereits vorbereitet. In den Vortagen hatte der Briefwechsel von Kanzler Helmut Kohl und SPD-Chef Oskar Lafontaine die unversöhnliche Haltung der Kontrahenten gezeigt. Doch Manfred Stolpe gab nicht auf. „Ich habe mich immer wieder penetrant zu Wort gemeldet, um doch noch etwas zu erreichen“, sagte er später. Die anderen Teilnehmer fanden das Engagement ihres ostdeutschen Kollegen wohl liebenswert exotisch. Beide Seiten nahmen ihn später dankbar für sich in Anspruch. Die SPD, um ihren Einigungswillen zu demonstrieren. Und die Koalition dafür, daß die „Blockadepolitik Lafontaines“ in der SPD keine geteilte Zustimmung gefunden habe.
„Blockadepolitik“ – nichts werfen sich die beiden Lager in diesen Tagen lieber vor. Der Wettstreit darum, die andere Seite für das Scheitern verantwortlich zu machen, ist im vollen Gange. Allen voran gibt der stets lächelnde und gut gebügelte Generalsekretär der CDU, Peter Hintze, routiniert verblödende Stellungnahmen von sich: „Mit ihrer Blockadehaltung zur Steuerreform versündigen sich die Sozialdemokraten an den Arbeitslosen in Deutschland.“
Auf einmal tun alle so, als wenn sie eine Einigung gewollt hätten. Lafontaine behauptete gar: Wenn Kohl eingangs gesagt hätte „Laßt uns auf eine Nettoentlastung von um die zehn Milliarden einigen“ und „Gut, 39 Prozent Spitzensteuersatz ist zu niedrig, laßt uns einen Kompromiß finden“, dann wäre eine Einigung möglich gewesen. So kompromißbereit hat sich Lafontaine vorher nie gegeben.
Wolfgang Schäuble war es, der nach seinem eingangs pflichtschuldigst erklärtem Bedauern über das Scheitern der Verhandlungen zu erkennen gab, daß die Union ohnehin vorhatte, ihren eigenen Stiefel durchzuziehen. Stolz betonte er: Seit Ende Januar, als die Koalition ihr Steuerkonzept vorgeschlagen hatte, habe sich nichts an den Reformplänen geändert. Durch die Gespräche mit der SPD sei keine Zeit verlorengegangen. Sie hätten zwar nichts genutzt, aber auch nichts geschadet. In der Tat hat die Koalition mit dem vorgestern im Kabinett verabschiedeten Gesetzentwurf so getan, als hätten die Verhandlungen mit der SPD nicht stattgefunden.
Dabei war man sich in einigen Punkten bereits nähergekommen. Die Koalition hatte eingelenkt, die Lohnnebenkosten zum Juli dieses Jahres zu senken und die Kosten gegebenenfalls durch eine Erhöhung der Mineralölsteuer gegenzufinanzieren. Eine Einigung scheiterte daran, daß die Koalition gleichzeitig auf eine Reform der Sozialkassen drängte, mit anderen Worten auf Leistungskürzungen. Auch auf ein Vorziehen eines Teils der Steuerreform hatten sich beide Seiten auf Drängen der SPD verständigt. Einig waren sie sich über eine Senkung des Eingangssteuersatzes. Uneins — unter anderem — über den Spitzensteuersatz.
Beide Maßnahmen hätten, so sieht es jedenfalls Manfred Stolpe, positive Wirkungen auf den Arbeitsmarkt haben können. Nun ist die Chance vertan. Vor der Bundestagswahl 1998 werden wohl weder die Lohnnebenkosten noch die Steuern gesenkt. Vermutlich scheitert die Steuerreform ganz und gar. Lafontaine hatte vor einigen Monaten im Bundestag unmißverständlich erklärt: „Wenn die Steuerreform nicht schon 1998 kommt, können Sie das Ganze vergessen.“ Und der SPD-Chef, das hat sich in den letzten Monaten gezeigt, hält Wort. Er fürchtet, daß die Koalition mit dem Versprechen von Steuergeschenken Wähler gewinnt, die sie später nicht einlösen kann. „Eine dritte Steuerlüge verhindern“ nennt er das.
Die Koalition setzt darauf, daß der eine oder andere SPD-Ministerpräsident im Vermittlungsausschuß von Bundestag und Bundesrat einknicken wird. Oskar Lafontaine, der in den letzten anderthalb Jahren die Partei geschlossen hinter sich gebracht hat, hält das für „lächerlich“. Selbst Manfred Stolpe, der 1992 im Sinne der Koalition für die Erhöhung der Mehrwertsteuer gestimmt hatte, versicherte, die Reihen der SPD seien geschlossen. Schließlich müßten die Länder die von der Koalition geplante Nettoentlastung von 30 Milliarden mitfinanzieren. Dies sei angesichts der angespannten Haushaltslage undenkbar.
Zudem muß die Koalition um die Loyalität ihrer eigenen Ministerpräsidenten fürchten. Kurt Biedenkopf aus Sachsen hat bereits eine solide Gegenfinanzierung angemahnt. Und der bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber sagte drohend, er stehe zwar zu Finanzminister Theo Waigel, „aber wir haben kein Geld“.
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