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Ein durchsichtiger Racheakt

Der Menschenrechtler Sanar Yurdatapan ist in der Türkei verhaftet worden, weil er dubiose Machenschaften der Sicherheitskräfte aufdeckte  ■ Aus Istanbul Ömer Erzeren

Der türkische Komponist und Aktivist für Menschenrechte, Sanar Yurdatapan, ist Opfer eines Komplotts der Polizei geworden. Zu diesem Schluß kommt der Bruder des inhaftierten Musikers, Onur Yurdatapan, der gestern im Büro des „Menschenrechtsvereins“ in Istanbul zu einer Pressekonferenz eingeladen hatte.

Sanar Yurdatapan, der vergangene Woche nach einem kurzzeitigen Aufenthalt in Deutschland in die Türkei zurückkehrte, war am Istanbuler Flughafen verhaftet worden.

Mittlerweile ist gegen den bekannten Komponisten Haftbefehl erlassen worden. Die Staatsanwälte des Staatssicherheitsgerichtes Istanbul bereiten eine Anklage wegen „Unterstützung einer kriminellen Organisation“ vor. Der Polizeipräsident von Istanbul, Ramazan Er, gab persönlich die Festnahme des im Polizeiapparat verhaßten Yurdatapan bekannt. Die Verhaftung und Anklageerhebung ist ein allzu durchsichtiger Racheakt der Behörden gegen den Musiker, der sich um Aufklärung zahlreicher krimineller Machenschaften des Staates bemüht hat. Unvergessen sind Yurdatapans Bemühungen zur Aufklärung eines Massakers nahe des kurdischen Dorfes Güclükonak, bei dem elf Bauern ermordet worden waren. Die Verantwortung wurde der illegalen, kurdischen Guerilla PKK (Arbeiterpartei Kurdistans) zugeschoben. Durch mehrere Delegationsreisen und zähe Ermittlungsarbeit konnte Yurdatapan nachweisen, daß Sicherheitskräfte und vom Staat bezahlte Dorfmilizionäre die Verantwortung trugen. Yurdatapan war ebenfalls Initiator der Kampagne „Freiheit den Gedanken“, die sich mit Autoren im Gefängnis solidarisierte und Sprecher der Gruppe „Gemeinsam für den Frieden“.

Die jüngste Verhaftung von Yurdatapan steht im Zusammenhang mit den PKK-Überläufern Murat Demir und Murat Ipek. Die einstigen PKK-Militanten kolloborierten nach ihrer Festnahme mit den Sicherheitskräften und beteiligten sich in Todesschwadronen an der Ermordung zahlreicher Regimekritikern. In den vergangenen Monaten packten die beiden Männer aus. Yurdatapan bemühte sich darum, die hochbrisanten Aussagen, die hochrangige Polizisten und Militärs belasten, publik zu machen. In Yurdatapans Büro wurden Videokassetten, auf denen die Interviews mit den beiden Männern aufgezeichnet waren, von der Polzei beschlagnahmt. Demir und Ipek wurden ebenfalls verhaftet. Nach Yurdatapans Verhaftung behauptet die Polizei, daß Yurdatapan einen „Propagandakrieg“ gegen die Türkei führe und die Geständnisse der Killer völlig aus der Luft gegriffen seien.

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