: Dann ist alles aus
■ Kinderwahnsinn zum Vollplayback: Das erste Schlumpfmusical der Welt ist da, und das Publikum hat nur einen Wunsch - einmal einen echten Schlumpf berühren
Alles fing ganz harmlos an. Es gab Zeiten, da existierten lediglich harmlose Comics mit lustigen blauen Figuren, die lustige Abenteuer erlebten. Ein netter Belgier namens Pierre Culliford alias Peyo hatte sie erfunden und seinen Erben eine Goldgrube hinterlassen.
Die Schlümpfe nämlich traten ihren Eroberungszug durch die Welt an, hießen mal „Strumpfs“ (Island), mal Smurfs (USA). Und bald schon kamen kleine Plastikfigürchen hinzu, ferner Malbücher, Zeichentrickfilme und dann auch schon Vadder Abraham. Dieser holländische Mann mit dem Pan- Tau-Outfit trötete sich zusammen mit einem Schlumpfen-Chor aus der Studio-Retorte in die deutschen Charts. Eineinhalb Millionen Mal griffen Deutsche nach dieser Single. Das war 1978 ein Rekord. Vadder Abraham ist inzwischen ein Sozialfall geworden, soll häufig so blau aufgetreten sein wie seine Wichtel, so daß ihm schließlich die Rechte an allem Schlumpfigen abhanden kamen. Im vergangenen Jahr versuchte er ein tragisches Comeback mit einem Song über Damenbinden („Wenn die Slipeinlage nur gut sitzt“).
Heute singen die Schlümpfe zwar immer noch mit diesen quiekigen Computerstimmen, aber längst zu einem anderen Sound. Techno ist angesagt. Weil eben Vierjährige im allgemeinen noch kein Englisch kennen, aber dennoch die Hits von DJ Bobo und Mr. President mitsingen wollen, heißt „Macarena“ jetzt eben „Makkaroni“, und aus „Cotton Eye Joe“ wird der „Schlumpfen Cowboy Joe“. Kindern macht das Spaß, die Plattenfirma freut sich (etwa vier Millionen CDs wurden bislang verkauft). Für den Rest der Welt ist das nichts anderes als akustischer Terror. Und der ist jetzt leibhaftig in der Stadt.
Möglich macht das eine Show- Produktionsfirma und einige Kinderspaßexperten, die auch schon bei Peter Maffays „Tabaluga“ ihre Hände im Kinder-Spiel hatten. Ein Dutzend namenloser Akteure tanzt zum Vollplayback und einer dürftigen Rahmenhandlung über die Zirkusbühne. „Die Schlümpfe kommen in die Stadt“ heißt dieses erste „Schlumpfmusical der Welt“, und das genau ist Inhalt, Message und Zweck der Show. Schlumpfinchen will rote Schuhe und Gargamel einen saftigen Schlumpf auf Salatblatt in Sesambrötchen. Das ist mehr oder weniger die Story. Der ganz und gar menschliche Christian fungiert als Moderator bzw. als Anheizer und Claqueur der Show. Denn Schlumpfenmusical heißt vor allem: Kinderwahn der höheren Stufe. Nichts da mit andächtig gelauschtem „Phantom der Oper“ für die „Benjamin Blümchen“-Generation. Hier wird mitgeklatscht, als gelte es, den „Musikantenstadl“ zu übertreffen.
Ein böser Mann, für jedes Kind unter fünf spielend als Zauberer und Widersacher Gargamel erkennbar, hängt zum Ende der Show an einem Seil unterm Zeltdach und dient zwei sportiven Steffi-Graf-Schlümpfen als Tennisball. Drum herum hüpft ein knappes Dutzend blauer Wichtel ekstatisch zum Discosound aus den Boxen. Aus tausend Kinderkehlen grölt es voll Begeisterung. Keine Mutter dieser Welt kann sie mehr bändigen. Sie stürmen die Bühne und wollen nur eins: einmal einen echten Schlumpf berühren.
Gekreische und Getrampel. Da fällt sogar Sara die Popcorntüte aus der Hand. Sara ist vier und bekennende Schlumpfianerin. Längst ist sie auf ihren Stuhl gestiegen und hüpft zum Techno-Beat. Ihre Mutter nimmt's scheinbar gelassen, heimlich aber schaut sie auf ihre Armbanduhr und freut sich wohl insgeheim schon auf den Zeitpunkt, wenn der blaue Spuk vorbei ist. Dann heißt es nur noch, das liebe Kind schnell durch das Vorzelt nach ganz draußen zu bugsieren. Das Vorzelt nämlich ist für Kinder ein zweites Paradies, für Eltern die Vorhölle zum finanziellen Ruin. Schlumpfhausen en miniature – Pilzhaus-Büdchen mit jeder Menge Süßkram, Hot dogs, Donuts und Merchandising bis zum Abwinken: Hörspielkassetten, Schminksets, Rubbelbilder, Schlüsselanhänger. Wenn Mamis Geldbeutel voll genug ist, reicht's für Schlumpfklamotten von der Basecap bis zum Bademantel. Und für zehn Mark kann man sich einem leibhaftigen Schlumpf in die Arme werfen und dabei fotografieren lassen.
Auf der Bühne aber geht noch der Schlumpf ab. Alles johlt, hüpft und lärmt. Alles, das heißt: alles unter sechs. Das Schlumpfmusical, das ist der Rave für die Generation zwischen Pampers und Grundschule. Sara staunt mit offenem Mund und vergißt dabei ganz ihren Schlumpf-Schokoladenkeks zu Ende zu kauen. Ihre Mutter hält sich am Sektglas fest und nimmt einen letzten großen Schluck. Dann ist alles aus. „Ohhh“, sagt Sara und steigt ein bißchen enttäuscht von ihrem Stuhl. Aus den Boxen dröhnt einer der zahllosen Hits der Fistelzwerge. Noch acht, neun Jahre vielleicht, dann wird Sara nicht mehr den belgischen Wichteln und Menschen in plüschigen Ganzkörperkostümen zujubeln, sondern irgendeiner Boy Band wegen in Ekstase geraten und sich denen ohnmächtig vor die Füße werfen. Axel Schock
Bis 11. Mai im Schlumpf-Zelt am Lützowplatz
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