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Schleimmonster auf der Suche nach Hirn

■ Peter Hyams' „Das Relikt“ ist Horror-Genre mit Mitteln des A-Films

Das Lamento, mit dem Niedergang des Studiosystems vor etwa vierzig Jahren habe auch die Filmkunst unumkehrbar Schaden genommen, hat ein wahres Element. Der klassische B-Film nämlich, den niemand drehte, um reich zu werden, sondern um die laufenden Kosten der Studios zu decken, ist mit ihm verschwunden. Abseits der Erwartungen, die an Prestigeproduktionen gestellt wurden, war er ein eigenwilliges Konstrukt aus genrebedingter Standardisierung und ästhetischer Autonomie, die speziell im Bereich des Horror und der Science-fiction die zum Teil aberwitzigsten und surrealsten Geschichten hervorbrachte, die einem Star anzubieten niemand auch nur im Traum gewagt hätte.

Im Zuge der Blockbuster-Kalkulation der vergangenen 20 Jahre, die den Mainstream auf das Gleis einer ästhetischen Normierung zurückrangierte, hat sich nun auch die Situation des zweitrangigen Genrefilms geändert. Gerade als er vor wenigen Jahren die 100-Millionen-Dollar-Schallmauer durchbrach, hat der große Hollywoodfilm den ökonomischen Ort freigeräumt für ein Kino, das die erweiterten Absatzmärkte und neugeschaffenen Technologien nutzen kann, ohne auf Riesenerfolg und damit auf Originalität setzen zu müssen. Das auseinandergezogene Feld der US-amerikanischen Filmproduktion läßt wieder Filme zu, die ohne Megastars und nie gesehene Special Effects sich auf ihr eigenstes Grundmotiv konzentrieren können.

Das kann freilich mächtig ins Auge gehen, wie zuletzt bei „From Dusk Till Dawn“. Es kann aber auch Produktionen hervorbringen, die nichts mehr und nichts weniger sind als gute Genrefilme, die einfach sagen, was sie zu sagen haben, und die trotzdem nicht wirken wie im Hinterhof zusammengeschustert.

Ein Beispiel dafür ist „Relikt“, die Geschichte von einem mythischen Monster aus dem südamerikanischen Dschungel, eines aus den Hormonen eines seltsamen Schleimpilzes sowie unterschiedlicher Kleintiere mutierten Hybridwesens, das sich in den Kellern eines naturhistorischen Museums einnistet, um den erreichbaren Menschen das Hirn auszureißen und es zu essen.

Der Film weist viele Vorzüge des klassischen B-Films auf: eine simple, örtlich begrenzte Idee als Kern der Geschichte; geradlinige Schauspieler, die nicht Star genug sind, als daß viel Zeit für ihre komplizierten Charaktere vergeudet würde; das kolportagehafte Zusammenwerfen der die Menschheit gegenwärtig aufregenden Themen, in diesem Fall Aberglaube, Gentechnologie und Viren aus dem Urwald; und vor allem den Mut, die Integrität und Prägnanz jener Grundidee durch eine logische Handlung nicht unnötig zu behindern.

Es muß eine ungeheure Anstrengung gewesen sein, allen zweifelnden Fragen – zum Beispiel danach, warum das Monster, wenn es soviel Hirn braucht, statt im Keller zu sitzen, nicht einfach durch ganz Chicago stiefelt – die Stirn zu bieten. Nur so gelingt die Konzentration auf ein einzigartiges dramatisches Bild, daß ein sich allen zoologischen Ordnungen entziehendes Mischwesen unerkannt in den dunklen Eingeweiden eines für ihn zuständigen Museums sitzt und es von innen zernagt.

Das ist weit mehr als ein lustiger Zufall. Die Autoren entwerfen damit eine Art topographischer Psychologie der Naturwissenschaften als einer gesamten, vulgärwissenschaftlich fundierten Welteinrichtung, die vor lauter Zerteilungen und Konservierung der Begriffe in Spiritus deren unterirdisches Zusammenwirken nicht fassen kann und machtlos davorsteht, wenn deren Eigenbewegung mal wieder handfest wird und Menschen frißt – so daß einzig der Weg der Zerstörung noch offenbleibt.

Als Krönung hat der Film eine gruselige Eröffnung mit einem führerlos vor Chicago treibenden Frachtschiff, ist obendrein spannend und verleugnet keineswegs seine Zugehörigkeit zur populären Kultur: Deren neue Archetypen des abergläubischen Bundesbeamten und der rothaarigen, skeptischen Wissenschaftlerin (hier: Tom Sizemore und Penelope Ann Miller) entspringen direkt der „Akte X“ (worin wiederum Agent Cooper von „Twin Peaks“ und Agent Starling von „Schweigen der Lämmer“ einander zugeteilt wurden), ebenso liebgewonnene Momente wie „Scully, untersuchen Sie das“.

Wer dem Film nun vorwerfen wollte, er sei nur eine aufgeblasene „Akte X“-Folge, der berührt das Wesen des wahren B-Films in denunziatorischer Absicht und soll doch in seine ins A-Fach monströs hochgezüchteten B-Filme rennen, in „Independence Day“, „Kopfgeld“, „Dante's Peak“, „Michael“ etc.pp. Daniel Peterson

„Das Relikt“. Regie: Peter Hyams. Mit Penelope Ann Miller, Tom Sizemore, Linda Hunt u.a., USA 1997, 110 Min.

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