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Die große Nacht des Primo Pilaggi

■ Neu im Kino: Der Restaurantfilm „Big Night“von Stanley Tucci und Campbell Scott

Zumindest ein Genre der cineastischen Kunst wurde erst durch die Entwicklung des Farbfilms möglich: der Ess-Film. Hier streicht die Kamera geradezu erotisch über die meisterlich zubereiteten Köstlichkeiten. Hier werden die KöchInnen als KünstlerInnen gefeiert – wie sonst MalerInnen, MusikerInnen oder PoetInnen. Und hier läuft uns armen Zuschauern das Wasser im Mund zusammen. Schwarzweiß würden die Krebsschwänze in „Babettes Fest“, die Nudelsuppe in „Tampopo“oder die gebackene Ente in „Eat Drink Man Woman“sicher nicht solche Tantalusqualen auslösen. Nach diesen Kinofestmalen der französischen, japanischen und chinesischen „haute cuisine“war es an der Zeit für eine ähnliche Ode an die italienische Küche. Genau dies liefern die beiden amerikanischen Schauspieler Stanley Tucci und Campbell Scott in ihrem Regiedebüt „Big Night“, bei dem ein Makkaroni-Auflauf mit dem Namen Timpano beinahe den Schauspielern die Show stiehlt.

Primo Pilaggi und sein Bruder Secondo haben in den späten fünfziger Jahren in New Jersey ein Restaurant eröffnet. Aber der leidenschaftliche Koch Primo erleidet das Schicksal vieler der größten Künstler: Er ist der Mode um Jahrzehnte voraus. Seine authentische italienische Küche, seine Risottos und feinen Vorspeisen wissen die amerikanischen Gäste nicht zu schätzen. Sie wollen lieber Spaghetti mit Fleischklößchen und die Mamma-mia-Klischees, die das Restaurant des Konkurrenten Pascal bietet. Doch der hat Erfolg mit einem Angebot, das Primo „die Vergewaltigung der Küche“nennt. Seine sublime Kochkunst führt hingegen in die Nähe des Bankrotts.

Während Primo schüchtern und weltfremd mit seinen Kochtöpfen glücklich zu sein scheint, jagt Secondo als ehrgeiziger Kleinunternehmer mit allen Mitteln dem amerikanischen Traum vom großen Erfolg hinterher, und der Konflikt zwischen den beiden, zwischen Kunst und Geschäft, steht im Mittelpunkt dieser kulinarischen Komödie. Ein großes Essen soll das kleine Restaurant retten: Ein großer Abend mit einem berühmten Sänger als Ehrengast, von dem am nächsten Tag ganz New Jersey sprechen wird. Aber auch wenn Primo sich diesmal selbst übertrifft und die „Big Night“ein verführerisch inszeniertes Fest ist, bei dem die einzelnen Gänge fast wie Liebesakte zelebriert werden, ist für Secondo alles verloren, wenn der Hauptgast nicht kommt.

Wie Primo mit seinen Speisen nehmen sich die beiden Regisseure Zeit mit ihren Szenen. Auch filmisch bietet „Big Night“alles andere als typisch amerikanischen „fast food“. Man braucht eine Zeit, um sich auf diesen minimalistisch langsamen Rhythmus einzustellen. In den ersten Minuten fragt man sich vielleicht etwas irritiert, warum die Szenen nicht viel schneller gespielt und ausgeblendet werden. Aber bald erkennt man, wie authentisch die ruhige, elegante Atmosphäre des Restaurants hier getroffen ist und wie die Regisseure den Film mit schauspielerischen Feinheiten abgeschmeckt haben.

Tony Shalhoub als Primo und Co-Regisseur Stanley Tucci in der Rolle des Secondo sind ein für italienische Verhältnisse ungewöhnlich schweigsames Bruderpaar, und wenn die beiden zusammenspielen, wirken sie so vertraut, daß sie nicht viel Worte zu machen brauchen. Dem Klischee des redseligen, aufbrausenden Italieners kommt ausgerechnet der englische Schauspieler Ian Holm in der Rolle des Lokalbesitzers Pascal am nächsten, und auch dies ist genau kalkuliert, denn wie sein „Restaurante“steht ja auch seine Persönlichkeit für die betrügerische Antikunst. Man merkt, mit welcher Freude sich die Schauspieler auf diese saftigen Rollen stürzen, besonders Isabella Rossellini ist hier überraschend komisch und so lebendig, wie man sie seit ihren Zeiten mit David Lynch nicht mehr gesehen hat. Tucci und Campbell Scott (der auch in einer kleinen Nebenrolle zu sehen ist) sind klug genug, sich in ihrer ersten Regiearbeit auf ihr Metier, die Schauspielkunst, zu verlassen und von raffinierten Filmtricks, Schnitten oder Kameraperspektiven die Finger zu lassen. Um so überraschender ist die Schlußszene vom Morgen danach in ihrer stilistischen Konsequenz. In einer einzigen langen Einstellung wird da die Zubereitung und das Essen eines Omelettes gezeigt: Vom Griff nach der Pfanne bis die Eier in die Mägen gewandert sind. Die große Nacht wird nochmal im kleinen Frühstück gespiegelt.

Wilfried Hippen

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