: Musik für Zoo und Kuhstall
■ Wo ein „Keiler“ein „Keiler“bleibt: Das Trio „Jazzgegengeld“vermischte im Jungen Theater Free-Jazz mit Brehms Tierleben
Schon der Name der Veranstaltung verwirrt und ist somit Programm: „Jazzgegengeld“heißt wohl kaum, daß die Musiker Jörg Wagner, Ralf Benesch und Mark Scheibe nur dann ihre Instrumente auspacken, wenn sie dafür monetär belohnt werden. Bei einer oder allerhöchstens zwei Handvoll zahlenden BesucherInnen, die sich in den letzten beiden Wochen freitags und samstags jeweils um 23 Uhr ins Junge Theater getraut hatten, kann man kaum von einer kommerziell erfolgreichen Unternehmung sprechen. Also doch eher „Jazzgegengeld“im Sinne von „Musiktrotzkasse“? Die drei Künstler ließen sich jedenfalls nicht durch die leeren Stühle im Theater verdrießen und schienen ihren avantgardistischen Vertonung der antiquarischen TV-Serie „Alle meine Tiere“mit mindestens ebenso viel Spaß für sich selbst wie für das Publikum zu spielen.
Statt Songs, Standards oder zumindest der so beliebten „Kollektivimprovisationen“spielten sie „Rabe“, „Schaf“, „Keiler“, „Bär“, „Affe“, „Pfau“, „Zierfisch“und „Katze“. Und weil die einführende Erklärung, nach der verfremdete Fotografien der Tiere auf Notenpapier übertragen und dann „entschlüsselt“wurden, nicht so ganz glaubwürdig anmutete, mußte sich wohl oder übel jeder Zuhörer seinen eigenen Reim auf diese angeblich animalischen Tonfolgen machen. Manchmal schienen die Entsprechungen so simpel wie ein Kalauer: Mark Scheibe brummte auf seiner Trompete beim Stück „Bär“sehr bärig, und gleich zu Anfang von „Pfau“lief sein Finger auf dem Synthesizer alle Tasten rauf und runter und schlug so (Sie ahnen es schon) ein buntes Rad. Bei den „Zierfischen“wurde in einen Eimer mit Wasser geblasen und beim „Affen“auf dem Boden herumgeklötert. Aber meist waren die Entsprechungen entweder so verrätselt und codiert, daß eine genaue Auflösung länger als das Konzert gedauert hätte, oder die Musiker spielten einfach so drauf los und ließen den „Keiler“einfach „Keiler“sein.
Wenn man sich die Frage nach dem tieferen Sinn des ganzen Spektakels stellte, war man den dreien wohl endgültig auf den Leim gegangen. Einen Scherz wollten sie sich machen, aber das bedeutete keinesfalls, daß sie dabei nicht auch durchaus ernsthaft improvisierten. Bei den Versuchen, ihre Instrumente so unorthodox wie nur möglich zu spielen, gelangen ihnen einige sehr schöne Momente. Etwa wenn Mark Scheibe mit der Trompete direkt die Saiten des Klaviers anbließ, diese so zum Mitschwingen brachte, und dabei ganz eigenartige Toneffekte entstanden. Jörg Wagner war am besten, wenn er sein Schlagzeug links liegen ließ und das Bühnenbild mit seinen Schlagstöcken bespielte und Ralf Benesch blies am abenteuerlichsten auf den Einzelteilen seines auseinandergenommenen Saxophons. Das ganze war offensichtlich auch für die Musiker eine Suche, ein „work in progress“, eine Improvisation, die auch in der zweiten Woche noch nicht zu ihrer endgültigen Form geronnen war. So waren sie bei einem Stück offensichtlich selbst erstaunt, als sie es genau auf einen Takt hin zum Ende bringen konnten. Und wenn sie wirklich einmal die bekannten Hörmuster bedienten, wenn Scheibe einen Bluesgroove auf der Hammondorgel ölte oder Ralf Benesch auf dem Saxophon einen Jazzstandard zitierte, dann klang dies wie ein kaum zu entschuldigender Stilbruch. Mit etwa einer Stunde war das Programm kurz und schmerzlos, und weil die Musiker nie der Versuchung erlagen herumzualbern, blieb der Nonsens immer in der Schwebe. Vielleicht wurde hier ja doch „die Kontur der geschundenen Tierseele“adäquat in Noten übertragen. Vielleicht wäre diese Musik im Zoo der große Renner. Vielleicht gäben Kühe dabei mehr Milch, und das Biest legte sich friedlich neben den Blechbläser. Dann gäbe es auch Geld für diesen Jazz. Wilfried Hippen
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