piwik no script img

■ QuerspalteWenn der Schnüffler klingelt

Es klingelt, ein Langhaariger steht vor Ihrer Tür. „Beweisen Sie mir, daß Sie nicht Helmut Kohl sind“, fordert er Sie barsch auf. Nichts leichter als das, denken Sie: „Na, der Kanzler sieht doch ganz anders aus als ich!“ – „Wie denn?“ fragt der Langhaarige, und Sie eilen leichtfüßig in die Küche, um die heutige und gestrige Tageszeitung nach einem Bild unseres Kanzlers durchzusehen. Aber da gibt es leider ausnahmsweise keine Fotos vom Kanzler. „Kohl ist doch viel dicker“, stottern Sie hilflos. „Das ist kein Beweis“, antwortet er triumphierend – und jetzt sitzen Sie in der Patsche. Genauso wie Sozialhilfeempfänger.

„Umkehrung der Beweislast“ heißt nämlich die neue geplante Regelung für Sozialhilfeempfänger, und der Langhaarige im Jeanshemd ist in Wirklichkeit ein Sozialdetektiv, und Sie sind auf Stütze, und Willi ist vor zwei Monaten bei Ihnen eingezogen. Also fragt der Langhaarige an der Tür: „Hier wohnt doch ein Herr Wilhelm Schnellschuß, steht ja dran. Ist das eine Lebensgemeinschaft?“ „Nein“, lautet Ihre Antwort. „Das müssen Sie beweisen“, fordert der Langhaarige ungerührt, und jetzt kommt der große Moment für unser BEWEISFÜHRUNGSSET, zu haben zum günstigen Preis von 84,90 Mark nach Vorlage des Sozialhilfeausweises. Zum Set gehört die aufblasbare, gestreifte Luftmatratze („da sehen Sie, getrennte Betten“) ebenso wie die grauweiße Attrappe einer zweiten Sockenwaschmaschine („getrennte Haushaltsführung“) und – ganz wichtig – ein vorgedruckter Kündigungsbrief, der so lautet: „Sehr verehrter Herr (Schnellschuß), hiermit ersuche ich Sie, so bald wie möglich auszuziehen. Die Geräuschkulisse Ihrer häufigen Damenbesuche auf der Luftmatratze stört meinen Schlaf. Hochachtungsvoll...“ Selbst der langhaarigste Detektiv wird ob solch messerscharfer Beweisführung verstummen. Kein Wunder, daß das Anti-Lebensgemeinschaft-Set als künftiger Verkaufsschlager gilt. Der BDI überlegt, ob die Innovation nicht den „Standortpreis 97“ verdient hat. Barbara Dribbusch

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen