: Türkischen Islamisten droht das Verbot
Ankaras Oberstaatsanwalt stellt Antrag beim Verfassungsgericht. Begründung: Die Wohlfahrtspartei bekämpfe den Laizismus. Eine Parteineugründung könnte die Islamisten retten ■ Aus Istanbul Ömer Erzeren
Der islamistischen „Wohlfahrtspartei“ in der Türkei droht der Weg in den Untergrund. Gestern beantragte der Oberstaatsanwalt des obersten Kassationshofes, Vural Savas, beim Verfassungsgericht in Ankara das Verbot der Partei, die seit elf Monaten an der Regierung beteiligt ist und derzeit mit Parteichef Necmettin Erbakan den Ministerpräsidenten stellt.
Das äußerst repressive Parteiengesetz der Türkei, das nach dem Militärputsch 1980 verabschiedet wurde, erleichtert das Verbot von politischen Parteien. Mehrere kurdische und linke Parteien haben dieses Schicksal bereits erlitten. Der Präsident des Verfassungsgerichts, Yekta Güngör Özden, gilt als Falke, der der islamistischen Bewegung feindlich gesonnen ist. In öffentlichen Stellungnahmen hat er zu erkennen gegeben, daß er die Wohlfahrtspartei als Bedrohung für den in der Verfassung verbrieften Laizismus, die Trennung von Staat und Religion, ansieht.
Die vom Oberstaatsanwalt gestern herausgegebene Presseerklärung zu seinem Verbotsantrag klingt nicht wie die besonnene Formulierung eines Juristen, sondern wie eine politische Kriegserklärung an die Wohlfahrtspartei. Die Wohlfahrtspartei sei das „Zentrum von Aktivitäten gegen den Laizismus“ und strebe an, das „Verfassungssystem“ zu zerstören, erklärte der Oberstaatsanwalt, der sich ganz der Unterstützung durch das türkische Militär sicher sein kann. Die islamistische Partei treibe „das Land in Bürgerkriegsverhältnisse“. Er werde „religiöse, separatistische, faschistische und kommunistische Parteien“ nicht dulden, drohte Savas.
Die Zeitungen des Landes forderte der Oberstaatsanwalt auf, die 18seitige Anklageschrift ihren Ausgaben beizulegen, damit „das wahre Gesicht der Partei bloßgestellt wird“. Um den verfassungswidrigen Charakter der Wohlfahrtspartei zu belegen, werden in der Anklageschrift zahlreiche öffentliche Äußerungen von Politikern der Partei aufgelistet.
Im Fall eines Verbotes der Partei werden deren Parlamentsmandate — die Islamisten stellen mit 159 Abgeordneten die stärkste Fraktion — automatisch annulliert und Funktionsträger der Partei mit politischem Betätigungsverbot belegt. Auch das Tor für strafrechtliche Verfolgung ist geöffnet. Doch durch Gründung einer neuen Ersatzpartei und Aufkündigung der Parteimitgliedschaft vor einem Verbot könnten die Parlamentarier ihren Kopf retten. Linke und kurdische Parteien haben das bereits vorgeführt.
Nur einen Tag vor dem Verbotsantrag hatte das türkische Parlament mit knapper Mehrheit entschieden, daß der Mißtrauensantrag der Oppositionsparteien gegen die islamistisch-konservative Koalition nicht auf die parlamentarische Tagesordnung kommt. Mit dieser Entscheidung will sich das politische Regime, an dessen Ausrichtung die Militärs entscheidenden Anteil haben, nicht zufrieden geben.
Nach dem Verbotsantrag ist die stellvertretende Ministerpräsidentin und Außenministerin Tansu Çiller, die mit ihrer konservativen Partei des rechten Weges an der Regierungskoalition beteiligt ist, in einer Zwickmühle. Dem jetzt noch zunehmenden Druck auch aus den Reihen der eigenen Partei, die Koalition mit den Islamisten aufzukündigen, wird sie kaum lange standhalten können.
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