■ Türkei: Wird Erbakans Wohlfahrtspartei verboten?: Kräfte der Finsternis
Das politische Regime in der Türkei führt den Verfassungsspruch, daß die Souveränität beim Volke liege, endgültig ad absurdum. Einem blutrünstigen Feldherrn gleich, tritt ein Oberstaatsanwalt vor die Fernsehkameras, denunziert Ministerpräsident Erbakan als „Landesverräter“ und will die regierende islamistische Wohlfahrtspartei vor dem Verfassungsgericht verbieten lassen.
Kein Verrückter spricht da, sondern der Kriegsstratege, der die Kanonen und Panzer auf seiner Seite weiß. Er weiß, daß der „Feind“ kapitulieren muß, um nicht ganz aufgerieben zu werden. Denn mit dem Verbotsantrag ist das Schicksal der islamistisch-konservativen Koalition besiegelt. Die Islamisten werden Abschied von der Regierungsmacht nehmen müssen. Danach dürfen sie vielleicht Opposition spielen, ohne sofort verboten zu werden.
Der türkische Staat kennt keine Pluralität in der Politik. Die Militärs haben der Politik ein Zwangskorsett übergestülpt, und jeder, der versucht, sich zu befreien, wird um einen Kopf kürzer gemacht. Die starke türkische Linke in den siebziger Jahren, die das Projekt Sozialismus in die Gesellschaft einbrachte, hat der Militärputsch 1980 niedergewalzt. Es folgten die Kurden, die ihre kollektive Identität entdeckt hatten. Nun sind die Islamisten an der Reihe.
Doch Geschichtserinnerung tut not. Kaum jemand weiß noch, daß es die Militärs waren, die nach dem Putsch die Islamisierung der Gesellschaft forcierten, um die Linke zu treffen. Kaum jemand erinnert sich, daß das Regime die terroristisch-religiöse Hisbollah gefördert hat, um so die kurdische Guerilla PKK besser zu bekämpfen.
Das repressive politische Regime hat den Aufstieg der Islamisten erst möglich gemacht. Und Islamist Erbakan hat sich stets bei den Militärs angebiedert. Brav nickte er mit dem Kopf, als kurdische Abgeordnete vom Parlamentssaal ins Gefängnis verfrachtet und die Partei der Demokratie verboten wurde. Brav koalierte Erbakan mit Tansu Çiller und half tatkräftig mit, als es darum ging, die Aufdeckung krimineller Machenschaften zwischen Politik, Rauschgiftmafia, Polizei und Militär zu verhindern. Wer den Pakt mit Kräften der Finsternis eingeht, darf sich nicht wundern, eines Tages selbst deren Opfer zu werden. Ömer Erzeren
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