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Die Trennung von Aufklärung und Gedenken

■ Die Daueraustellung zum sowjetischen „Speziallager2“ erschließt aus einer Fülle von Dokumenten die Zeit der Internierung, aber auch Vor- und Nachgeschichte

Der erste Eindruck: Sachlichkeit, Nüchternheit. Die gestern eröffnete Dauerausstellung zum sowjetischen Speziallager Nr.2 in Buchenwald verzichtet bewußt darauf, den Besucher weihevoll einzustimmen, Emotionen zu mobilisieren. Die Trennung von Aufklärung und Gedenken, hier in Buchenwald die Trennung von Ausstellungsgebäude und dem in einen Waldfriedhof gewandelten Massengräberfeld, halten die Ausstellungsmacher für unverzichtbar. Anders, so meint der Projektleiter Rikola Lüttgenau, sind zukünftige Generationen für die Schreckensgeschichte Buchenwalds einschließlich seines Speziallagers nach 1945 nicht mehr erreichbar.

Keine Spur von „Erlebnisatmosphäre“

Der Museumsbau duckt sich an den Rand des Waldfriedhofs, aber er öffnet sich ihm nicht. Bis auf einen schmalen vertikalen Spalt ist der Blick auf die Bäume verwehrt. Die konkav gebogene Ausstellungsfläche wird durch Oberlicht und durch künstliches Licht erhellt. Vier Abteilungen untergliedern den Raum. Sie behandeln die politischen Voraussetzungen für die Errichtung der Speziallager, darunter die gern vergessene Kleinigkeit, daß es die Deutschen waren, die die Sowjetunion überfallen haben, den Aufbau der Lager, die Lebensbedingungen dort und schließlich die Lagerauflösungen zu Ende der 40er Jahre. Ein abgeteilter Raum, der sich für den Besucher als Sackgasse erweist, dokumentiert die Waldheimer Prozesse 1950 in der DDR, deren Opfer viele der aus dem Speziallager Entlassenen wurden.

Ein Kernstück der Ausstellung bildet die Sammlung ausgewählter Biographien, die sich direkt an die Betonwand an der Stirnseite des Museums anschließt. Die Lektüre der Dokumente erschließt nicht nur die Zeit der Internierungshaft, sondern auch deren Vor- und Nachgeschichte. Wie bei anderen, der Zeitgeschichte gewidmeten Museumsprojekten, kann der Besucher bereitgestellte Akten zur Hand nehmen, weiteres Material sichten oder sich die Video-Interviews mit überlebenden Internierten betrachten. Diese Handreichungen wirken angenehm zurückhaltend, haben nichts gemein mit der „Erlebnis“-Atmosphäre von Holocaust-Museen, die allerdings mit Buchenwald eines nicht gemeinsam haben: den historischen Ort des Grauens.

Es ist den Ausstellungsmachern gelungen, eine offenbare Not in eine Tugend umzuwandeln. Nur wenige „Realia“, kaum selbstgebastelte Erinnerungsstücke, fast keine Fotos, haben das Speziallager überlebt. Die Internierten wurden bei ihrer Entlassung streng gefilzt, was blieb, sind Schachfiguren, ein aus den Fäden von Baumwollsäcken gestrickter Pullover, eine Halstuchbrosche u.ä. So wurde die Ausstellung notgedrungen zum „Papiermuseum“. Aber diese Papiere erschließen viel vom Leben, vom Dahinvegetieren der Internierten – und ihrer Angehörigen, die verzweifelt nach dem Aufenthaltsort der Väter und Söhne suchten.

Denn das Speziallager 2 war ein Schweigelager, jeder Briefverkehr war den Internierten untersagt, von ihrem Schicksal wurde niemand benachrichtigt. In der Ausstellung finden sich Anfragen, zum Beispiel des Antifa-Komitees des thüringischen Ortes Taburz vom 13. 12. 1946, die von deutscher Seite lapidar damit beantwortet wurden, daß man keinen Einfluß auf die Internierungspraxis der sowjetischen Besatzungsmacht habe. Es fehlt nicht die ebenso obligate wie falsche Beruhigung: „Wie uns bekannt ist, werden alle diese Fälle aufs Genaueste geprüft.“

Massensterben wegen Verwaltungsschlamperei?

Monotonie und Hunger prägten den Alltag der Internierten. Zeitungen waren seltene und heiß begehrte Ware. Eine Aufführung von Goethes „Faust“ kam nicht über die dritte Vorstellung hinaus, weil ein offensichtlich neu bekehrter Antifaschist den sowjetischen Verantwortlichen auf „anstößige und gefährliche Stellen“ aufmerksam machte. Auch fehlte es an Versuchen der „Umerziehung“, wie sie in sowjetischen Kriegsgefangenenlagern bzw. in den Internierungslagern der Amerikaner üblich waren. Viele der ehemaligen Parteigenossen wandten sich dem Christentum zu. Seit 1948 wurden sporadisch Lagergottesdienste erlaubt – zumindest eine Abwechslung. Kontakte mit der relativ geringen Zahl internierter Frauen waren nicht möglich, sie wurden streng von den Männern isoliert. Die Ausstellung läßt die Frage offen, was eigentlich die Gründe für die drastische Kürzung der Lebensmittelrationen und das darauf folgende Massensterben der Internierten gewesen sind. In einem Brief des Lagerkommandanten an die vorgesetzte NKWD- Dienststelle werden die hauptsächlichen Krankheiten aufgezählt und dringend Medikamente erbeten. Das klingt nicht nach systematischer Vernichtungsstrategie. Ralf Possekel, Wissenschaftler bei der Arbeitsgruppe zum Speziallager 2, weist darauf hin, daß von zwei sich ergänzenden NKWD-Maßnahmen nur eine verwirklicht wurde. Die Lebensmittelkürzung trat in Kraft, der Transport von insgesamt 20.000 Internierten in die Sowjetunion unterblieb. Im Speziallager 2 starb in diesem Winter jeder vierte der 28.000 Internierten.

Den Ausstellungsmachern kommt das Verdienst zu, nicht nur den Zwangsaufenthalt in Buchenwald, sondern auch dessen Vorgeschichte soweit wie möglich dokumentiert zu haben. Anläßlich der Ausstellungseröffnung war Gelegenheit, mit einer Reihe damals internierter Jugendlicher zu sprechen. Die Befragten stimmten überein, daß, verglichen mit der vorangegangenen NKWD-Haft, die Zustände im Speziallager als erträglich empfunden wurden. Aber was heißt schon erträglich, speziell für uns Heutige, von später Geburt Begnadete?

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