: Blumen und Beifall von den Genossen
Ex-DDR-Geheimdienstchef Markus Wolf zu zwei Jahren Haft auf Bewährung verurteilt. Wolf war maßgeblich an Entführungen und Verschleppungen beteiligt. Verjährungsfrist gilt nicht ■ Aus Düsseldorf Walter Jakobs
Diesmal blieb es im Gerichtssaal 001 des Düsseldorfer Oberlandesgerichts ganz ruhig. Die Sympathisanten des früheren DDR-Geheimdienstchefs Markus Wolf, die ihn beim Eintritt in den Saal mit Blumen und Applaus begrüßt hatten, beließen es beim schriftlichen Protest. Etwa die „Initiativgruppe Kundschafter des Friedens“, die in ihrer Erklärung – den Urteilsspruch schon vorwegnehmend – „aufs schärfste“ gegen den Versuch protestierte, Wolf mit „diesem politischen Strafurteil zu kriminalisieren“.
Die relative Gelassenheit rührte wohl auch daher, daß der immer noch verehrte einstige Chef in seinem zweiten Prozeß mit einer Bewährungsstrafe davonkam: zwei Jahre Haft auf Bewährung wegen vierfacher Freiheitsberaubung in Tateinheit mit Nötigung und Körperverletzung.
Damit blieb der 7. Strafsenat deutlich unter den von den beiden Anklagevertretern Joachim Lampe und Wolfgang Siegmund geforderten drei Jahren und ersparte dem 74jährigen einen Knastaufenthalt. Von „einer verdienten Niederlage der Bundesanwaltschaft“ sprach später Wolfs Verteidiger Rudolf Schwenn, der gestern offenließ, ob sein Mandant in die Revision gehen werde.
Eine überraschende Wertung, denn bei der Urteilsbegründung selbst folgte die Senatsvorsitzende Ina Obst-Oellers, deren sachliche Verhandlungsführung von Wolfs Anwälten immer wieder gelobt worden war, weitgehend der Argumentation der Bundesanwaltschaft. Etwa beim Entführungsfall des früheren Stasioffiziers Walter Thräne. Während die Verteidigung hier auf Freispruch plädiert hatte, sah es das Gericht als erwiesen an, daß Wolf selbst die Verschleppungsaktion „gesteuert“ habe.
Thräne war am 11. August 1962 zusammen mit seiner Freundin Ursula Schöne nach West-Berlin geflohen und wenig später von westlichen Mitarbeitern der von Wolf geleiteten Hauptverwaltung Aufklärung (HVA) in einen Hinterhalt in Österreich gelockt und über die ČSSR in die DDR verschleppt worden. Schöne schilderte die Aktion in Österreich im Düsseldorfer Gerichtssaal so: Das Auto sei in einem Steinbruch gestoppt worden, dann habe sie „einen Schlag auf den Kopf“ bekommen, und danach sei sie erst in einem Prager Gefängnis blutverschmiert und völlig verängstigt aufgewacht.
In Ost-Berlin wurden beide später zu langjährigen Haftstrafen verurteilt. Schöne saß mehr als drei Jahre ab, ihr Geliebter mehr als zehn. Nach der Wende schilderte der inzwischen verstorbene Thräne die kaum auszuhaltenden Haftbedingungen. Jahrelange Einzelhaft und immer wieder tagelange Dunkelhaft trieben ihn in die Verzweiflung und zu fünf Selbstmordversuchen.
Den „wesentlichen Part“ hat Wolf nach Überzeugung des Gerichts auch bei der kurzzeitigen Entführung der beim amerikanischen Hohen Kommissar in West- Berlin beschäftigten Sekretärin Christa Trapp gespielt. Und auch beim wesentlich schwerer wiegenden Fall des Georg Angerer.
Der Leipziger Schriftsetzer war 1959 auf Anweisung von Wolf inhaftiert worden, weil er, so hieß es in dem von Wolf unterzeichneten Haftbeschluß, verdächtig sei, schwere Verbrechen an norwegischen Widerstandskämpfern begangen zu haben. Doch in Wahrheit ging es Wolf nicht um die Aufklärung dieser Taten, sondern, so die Senatsvorsitzende mit Blick auf eine Vielzahl Wolf schwer belastender Stasi-Schriftstücke, „ausschließlich“ darum, Angerer „gefügig“ zu machen.
Ziel war es, mit Angerers Hilfe dem damaligen Westberliner SPD- Oberbürgermeister Willy Brandt eine Nähe zur Gestapo anzuhängen. 200 Tage lang währte die Inhaftierung des von Wolf im Prozeß immer als „Gestaposcherge“ titulierten Schriftsetzers. Doch Substantielles kam bei dieser „puren Quälerei zu einem ganz miesen Zweck“, so die Bundesanwaltschaft, nicht heraus. Später sagte Angerers Witwe, ihr Mann sei nach dieser Haft zeitlebens ein gebrochener Mensch gewesen.
Alle Wolf zur Last gelegten Taten waren nach Auffassung des Düsseldorfer Gerichts auch nach DDR-Recht strafbar. Nach westdeutschem Strafrecht wären sämtliche Anklagepunkte verjährt gewesen. Doch diese Verjährungshürde, so das Gericht, existiere bei Markus Wolf nicht, weil bis zum 2.Oktober 1990 in der DDR ein objektives Verfolgungshindernis für die angeklagten Straftaten bestanden habe. Auch nach dem DDR-Strafrecht hätte sich der Beginn der Verjährungsfrist für die Taten auf das Ende des Unrechtsstaates verschoben.
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