: Flugis gibt's hier am Lauti
■ Politik im öffentlichen Raum: Eine „Innenstadtaktion gegen Privatisierung, Sicherheitswahn und Ausgrenzung“ in Berlin und in 19 weiteren Städten
Im Herbst letzten Jahres fand in Berlin die Kongreßmesse „minus96 – Geld, Stadt, Tausch“ statt. Unter anderem diskutierte man dort über die zunehmende Verfolgung von Obdachlosen, Bettlern, Fixern und Ausländern auf öffentlichen Plätzen. Dieser Säuberung der Konsumzonen – durch spezielle Verordnungen, Polizeieinheiten und immer mehr private Sicherheitsdienste – wollte man mit einer konzertierten Aktion 97 entgegentreten. Zwar zeigte sich in den Debatten der Autonomen und Künstler eine mir neue Qualität, aber außer mit einigen Wohnwagenbewohnern und Obdachlosenzeitungen gab es kaum Berührungspunkte mit den „Betroffenen“. Ich erwartete deswegen nicht viel mehr als einige überflüssige „Happenings“.
So ließ sich am Mittwoch zunächst auch die „Picknick“ genannte Aktion auf dem Westberliner Los Angeles Platz an. Dieser Park vor dem Steigenberger-Hotel ist privatisiert, und man darf dort außer auf Bänken Zeitung lesen so gut wie nichts. Arme arbeitslose Schweine in Security-Phantasieuniformen, mit Funkgeräten, Schlagstöcken und Hunden bewaffnet, kontrollieren das Gelände – für kaum mehr als sieben Mark die Stunde. Den etwa 200 Picknickern standen dann mindestens ebenso viele Polizeibeamte gegenüber, die jedoch wenig mehr taten, als einige Rucksäcke („City- Bags“) zu durchsuchen.
Als die Demonstration losging – über den Bahnhof Zoo zum Europa-Center, wo im Hotel Palace die Vereinigung der Kurfürstendamm-Krämerseelen (namens AG City) tagte, änderte sich der albernde Protest: Nie zuvor habe ich derartig gute Aufklärung aus einem Lautsprecherwagen gehört, und auch die am Straßenrand verteilten Flugblätter waren gänzlich ohne Konsensphrasen und sonstige Peinlichkeiten. Einige Penner am Zoo applaudierten sogar. Vor dem Hotel schließlich mußten einige Polizisten für amerikanische Touristen die Lautsprecherdurchsagen übersetzen.
Ihr Englisch reichte jedoch nicht hin, außerdem ging es vornehmlich gegen sie: eine penible Aufzählung, wann sie welchen Ausländer ohne Grund vor der Kaiser-Wilhelm-Gedächtnislücke brutal überfallen hatten.
Als eine Art Aktionszentrum funktionierte inzwischen ein „Anbau“ aus Gerüststangen, bestückt mit Abspielgerät sowie alkoholhaltigen Erfrischungsgetränken und flankiert von einem Swimmingpool – an der Ecke Mohren-, Friedrichstraße in Mitte vis à vis den Friedrichstadt-Passagen. Aufgebaut und betreut wurde diese wahre „Info-Box“ von der Architekturstudentengruppe „Freies Fach“. Am „L.A.-Picknick“-Tag fand in den 1996 mit internationalem Brimborium eröffneten Friedrichstadt-Passagen gerade eine Diskussion der Friedrich-Naumann-Stiftung („Themenfelder besetzen“) über die Nutzung des Prachtensembles statt: Bis auf den ehemaligen SPD-Bausenator Nagel, der jetzt schändlicher- oder vielleicht auch ehrlicherweise vollends zum Wasserträger eines Immobilienspekulanten (von Jagstfeld) geworden ist, waren sich fast alle einig, daß das komplette Passagen-Quartier ein Flop ist – die Mieten dort belaufen sich teilweise nur noch auf 6,50 Mark pro Quadratmeter, und außer ein paar ums Leben betrogene strohblonde Ehefrauen, ewig mit Kreditkarten auf Schnäppchentour, verliert sich kein Aas in diese Luxusshopping- Areas mehr.
Draußen bemühte sich derweil der Passagen-Wachdienst vergeblich, das einzig Lebendige im weiten Umkreis der Friedrichstraße, den „Anbau“ und seine Betreiber sowie Nutzer, wegzuscheuchen. Graffititrupps hatten inzwischen an viele Neubauten „Eure Armut kotzt uns an“ gesprüht. So hatte ich das noch nie gesehen, aber es stimmte: Dieses zwielichtige Investorenpack nebst Anhang, fast zur Gänze im Verein der Freunde der Neuen Nationalgalerie organisiert, war im Verbund mit den elenden Banken von einer derartigen Armut, daß man ihre ganzen entleerten Environments („Urbanität“) und aufgeblasenen Exhibitions („attraktive Öffentlichkeit“) eigentlich nur noch großräumig meiden konnte: Zu revitalisieren gab es da nix mehr! Auch die an Goebbels und Strauß anknüpfende Rede des Berliner CDU-Vorsitzenden Landowsky ließ sich so – anders als im Sinne des Terminatorgenerals Schönbohm – verstehen: „Es ist nun einmal so, daß dort, wo Müll (Korruption) ist, Ratten sind, und daß dort, wo Verwahrlosung (Filz) herrscht, Gesindel ist. Das muß in der Stadt beseitigt werden...“
Man muß sich allerdings auch nicht um jeden Scheißdreck kümmern! Im übrigen hatte man das Landowsky-Zitat gerade zweimal großflächig mahnend an die Brandmauer eines ehemals besetzten Hauses in der Kreuzberger Manteuffelstraße geklebt – und beide Male war es von der Polizei mit Hilfe der Feuerwehr sofort wieder weiß überpinselt worden.
Am Donnerstag fand das Innenstadtaktions-Programm im Untergrund statt und hieß „Surfen mit den Blauen“. Gemeint waren damit die (blauen) Kontrolleure und Sicherheitskräfte der U-Bahn. Diese machten jedoch großenteils nur gute Miene zum bösen Spiel, als die etwa hundert Aktivisten die Abteils besetzten, ein Schwarzfahrerlied sangen, die neuen verschärften Verhaltensregeln für Untertage bekanntgaben und Flugblätter verteilten. Anders als die fast schon begeisterten Passanten am Straßenrand waren die Fahrgäste in den U-Bahnabteils jedoch von der Menge der „Surfer“ – von denen einige auch noch „Kampfpinguine“ auf Rädern mitführten – eher eingeschüchtert.
Am Freitag stand dann – wieder oberirdisch: am Peter-Alexanderplatz – eine „Volxküche für Obdachlose“ auf dem Programm der kritisch konzertierten „Gegenöffentlichkeit“. „Flugis gibt's hier am Lauti!“ wurde über Mikrofon durchgegeben. Da durchzuckte es mich dann doch. Helmut Höge
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