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■ NetzwerkJugend tagt

Karl Valentin hat sich geirrt: Fremd ist der Fremde nicht nur in der Fremde. Er ist überall dort fremd, wo befremdet auf ihn reagiert wird – und das kann auch dort sein, wo er sich zu Hause fühlt. Was Guillermo Aparicio in philosophische Betrachtung faßte, war für viele seiner Zuhörer – junge Deutsche mit griechischem, türkischem, kurdischem, indischem, arabischem, spanischem oder italienischem Hintergrund – selbstverständliche Alltagserfahrung. Und damit vielleicht auch der Grund für ihre Teilnahme an der zweiten Bundeskonferenz junger MigrantInnen Ende Mai in Naumburg. Rund 35 Vertreter verschiedener Jugendorganisationen der zweiten Einwanderungsgeneration aus der gesamten Bundesrepublik diskutierten dort über die Zukunft im Einwanderungsland Deutschland.

Der weißhaarige Guillermo Aparicio, der unter den jungen Tagungsteilnehmern so etwas wie den Alterspräsidenten gab, mahnte zur konstruktiven Auseinandersezung mit der erlebten Befremdung: „Abgestoßen zu werden kann sehr gesund sein für den Abgestoßenen“, weil es dem Individuum auch Entwicklungschancen biete. Leider führe die erfahrene Ablehnung bei den Abgelehnten häufig entweder zur einschmeichelnden Überanpassung oder aber zum reflexhaften Rückzug in den ethnischen Schmollwinkel. Von beidem müsse man sich emanzipieren.

Mit der „Unzahl von Vereinigungen, die herkunftsbezogen arbeiten“, ging besonders Giovanni Sciurba hart ins Gericht. Deren national begründetes Selbstverständnis sei tendenziell nationalistisch, ebenso die Idee der doppelten Staatsbürgerschaft. Diese hielt er schlicht für „bescheuert“. Eine radikale Auseinandersetzung mit der eigenen Herkunftsgesellschaft, mit den „eigenen Leuten“, auch mit den eigenen Eltern, sei angebracht. Wichtig sei, nach vorne zu blicken und eine interkulturelle Plattform von Migrantenorganisationen, ein Netzwerk von Seilschaften zu bilden, statt sich, etwa in Form von Ausländerbeiräten, ins gemachte Ghetto zu setzen.

Schwierigkeiten gab es vor allem mit der Selbstdefinition: Wer sind wir eigentlich? Ausländer, weil es die deutsche Gesellschaftsmajorität so will? Inländer, weil wir hier leben? „Junge ausländische InländerInnen mit oder ohne deutschen Paß“ oder gar „Mifo-Gene“ (MigrantInnenFolge-Generationen)? Verbindliche Antworten gibt es nicht, denn individuelle Lebenslagen, Biographien und politische Orientierung der Beteiligten liegen zu weit auseinander. Es macht einen großen Unterschied, ob man mit dem griechischen Paß quasi alle EU-Privilegien (bis auf das Wahlrecht) genießt oder ob man als türkischer Staatsbürger vom neueingeführten Kindervisumzwang betroffen ist. Und es ist etwas völlig anderes, „volle Bürgerrechte ohne Ansehen der Staatsbürgerschaft“ zu fordern, wie es eine Teilnehmerin formulierte, als prinzipiell gegen „Bindestrich-Staatsbürgerschaften“ und, nach dem Vorbild der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung, für eine Art Verfassungspatriotismus zu plädieren, wie Atilla Vurgun vom CEMYC, dem Council of Europe Minority Youth Committees.

Egal: „Wir sind Realität“, darauf konnten sich alle Anwesenden einigen. Und darauf, daß diese Realität nun lange genug verdrängt worden sei – von der deutschen Politik, die mit der Reform des Staatsbürgerschaftsrechts nicht zu Potte kommt, wie auch von herkunftsorientierten Migrantenorganisationen. Daniel Bax

Adressen: Saz-Rock e.V., Bachmannstraße 2-4, 60488 Frankfurt am Main,Tel.: 069-788 319

Die Unmündigen e.V., c/o. Forum der Jugend, Neckarpromenade 46, 68167 Mannheim, Tel.: 0621-895 114

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