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Saubermänner mit Schluckbeschwerden

■ „Kritiker der Wehrmachtsausstellung sind Leute mit Absicht“, sagt der Sozialwissenschaftler Klaus Theweleit. „Die glauben selbst nicht, was sie sagen“/ Heute Vortrag im Bürgerhaus Weserterrassen

Wo die Ausstellung über die „Verbrechen der Wehrmacht“eröffnet, schlägt zuvor die große Stunde der politischen Hausmeister, der hauseigenen Kanzler und der Oberbürgermeister unter Cliquendruck. So jedenfalls resümiert der Freiburger Sozialwissenschaftler Klaus Theweleit die quälenden Standortdebatten. Dabei gehören die ProtagonistInnen dieser Verweigerungsdebatten zur aussterbenden Spezies von Schaukämpfern, meint Theweleit. „Denn die Tatsachen über die Verbrechen der Wehrmacht hat in Wirklichkeit jeder geschluckt.“Mit dem Autor des Buches „Männerphantasien“, der heute in Bremen über Militarismus und Männlichkeit referiert, sprach taz-Mitarbeiter Stephan Günther.

taz: Daß die Deutschen auf Zweifel an der „Sauberkeit“der deutschen Wehrmacht empfindlich reagieren, führen Sie auf eine sozusagen hundertprozentige Identifikation „des Deutschen“mit dem Heer zurück. Sie sagen, „der Körper des Heeres wurde zum Überkörper jedes einzelnen“. Wie kommt es zu dieser Vereinigung zwischen Mannes- und Heereskörper?

Klaus Theweleit: Sie entsteht aufgrund gravierender Störungen. Wer kein eigenes Körpergefühl entwickelt, ist auf äußere Körperstützen angewiesen. Das muß nicht das Heer sein, das können Sportvereine, Fabriken, Institute und Verwaltungen sein. Fast alle Menschen greifen, wenn sie in eine Krise geraten, zumindest vorübergehend nach einem Korsett. Das ist meist männlich-institutionell und gegen das „Bedrohliche“aggressiv.

Die Sauberhaltung des Heeres ist also Voraussetzung dafür, sich selbst sauber zu fühlen?

Die „Sauberkeit des Heeres“ist eine der drei oder vier Lebenslügen der Bundesrepublik gewesen – und nach dem Beschluß, die Verantwortung des Holocaust von sich zu weisen, wohl die zentralste, indem sie eine Trennung zwischen wenigen Tätern wie SS-Leuten und allen anderen kriegführenden Instanzen vornahm. Daß alle auf Kriegsführung ausgerichtet waren, ist historisch mehr oder weniger gerechtfertigt worden – zur Abwehr des Gewehr bei Fuß stehenden Bolschewismus. Erst Ende der 60er Jahre ging dieses Gerücht vom halbwegs gerechten Krieg in die Brüche.

Wo unterscheidet sich die frühere Diskussion um die Wehrmacht von der heutigen?

Früher wurden eher Berufsverbote ausgesprochen, als Alt-Nazis aus Ämtern gefeuert. Aber mit einem Mal gibt es eine Generation junger Forscher, die exzellente Studien über Alt-Nazis in der Bundesrepublik oder den Holocaust im Osten vorlegen. Vor allem in der jüngeren Generation setzt sich die Einsicht durch, daß die Wehrmacht eine verbrecherische Organisation war und daß ohne sie der Holocaust nicht durchführbar gewesen wäre. Die Ausstellung kommt da genau im richtigen Moment.

Aber nicht nur alte Wehrmachtkämpfer gehen vor ihr in Abwehrhaltung, sondern auch Leute der Nachkriegsgeneration.

Das sind überwiegend Funktionäre, Leute mit Absichten, die für Gruppen, Parteien, Institutionen sprechen. Die wissen, daß sie Unrecht haben. Keiner von denen glaubt den Kram, den er selbst erzählt, nicht mal Erich Mende.

Also alles Schau?

Eine Inszenierung wie im Theater. Man prügelt zur Ablenkung auf Hannes Heer oder Reemtsma ein wegen angeblicher Fehler; aber im Grunde hat jeder, soweit er interessiert ist, die Tatsachen geschluckt oder ist dabei, das zu tun.. .

Warum dann die emotionalen Ausbrüche und die Wut gegen die Bilder?

In München, wo täglich 2.000 Leute in der Ausstellung waren, hat kaum jemand gegen sie gesprochen. Die Bilder zeigen ja vieles, zum Beispiel einen soldatischen Blick, der von Tötungsaktionen Urlaubsphotos herstellt. Wo wurde schon mal in Ausstellungen diskutiert?

Warum läuft diese Auseinandersetzung erst jetzt?

Der Zusammenbruch von DDR und Sowjetunion ist eine der Voraussetzungen dafür. Die Rede von der Bedrohung durch den Osten, das Aufrechnen der Stalinschen Lager gegen die KZ's ist weggefallen. Außerdem gibt es zeitlichen Abstand. Das „es muß jetzt mal Schluß sein“, gilt nicht mehr.

Andere Folgen der Wiedervereinigung sind wiedererstarkendes Nationalgefühl, neuer Nationalismus oder, um mit Ihren Worten zu sprechen, ein wiederhergestellter Volkskörper.

Den ich aber eher klapprig sehe. Zum einen ist eine gewisse Menge Rechtsradikalismus für jede industrialisierte hochselektive Konkurrenzgesellschaft „normal“. Um darüber hinaus ein starkes nationales „Wir-Gefühl“zu entwickeln, ist das Bewußtsein der vorhandenen Unterschiede zwischen den Leuten aber viel zu groß, auch jenseits des Ossi-Wessi-Spektakels. Gefährlicher als die formierte Rechte und der primitive Wir-Nationalismus scheint mir die Asylgesetzgebung, diese gesellschaftliche Kälte gegenüber dem „Rest der Welt“und den eigenen Ausgegrenzten. Wenn sich etwas vom alten Nationalistischen fortsetzt, dann darin. Man braucht heute nicht mehr den alten hochaggressiven Körperpanzer. Das Militär spielt heute eine geringere Rolle. Krieg mit Raketen und am Computern braucht diesen harten Drill nicht, sondern kühle Techno-Krieger.

Darum sind die Militärs von dieser Ausstellung auch nicht emotional direkt getroffen. Gestus: „Das waren nicht wir“. Aber sie brauchen natürlich die Kontinuität der Vorstellung eines „sauberen Heeres“zur Legitimation neuer Aufgaben der Bundeswehr.

In diesem Punkt ist die Ausstellung ein Schuß vor den Bug der Leute, die den verfassungsmäßigen Auftrag der Bundeswehr gern ausweiten würden. Deren Strategie wird von der Wehrmachtsausstellung empfindlich gestört.

Fragen: Stefan Günther

Die Vortragsveranstaltung „Militarismus und Männlichkeit – Reichswehr, Wehrmacht, Bundeswehr. Analysen eines gewalttätigen Männerentwurfs“findet heute um 20 Uhr im Bürgerhaus Weserterrassen statt.

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