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Urbane Folklore

■ „Traditionelle akustische Musik“: Das Folk-Label Raumer Records im Porträt

Die Raumerstraße im Prenzlauer Berg entspricht ganz dem idyllischen Ideal des Bezirks. Verwinkelte Altbauten, nur teilweise mit frischer Fassade, reihen sich um den Park am Helmholtzplatz, und klapprige Fahrräder hüpfen sachte über das holprige Kopfsteinpflaster. Hier befindet sich das Büro der Raumer Records. Der Einfachheit halber hat man sich nach der Straße benannt, in der man logiert, denn Labelchef Peter Talmann ist kein Mensch, der große Umschweife liebt. „Hauptsächlich Zigeunermusik“ umschreibt er knapp den stilistischen Schwerpunkt seines Labels. Er könnte auch „Musik der Sinti und Roma“ sagen, was deren Dachverband bestimmt besser gefallen würde, aber das klingt etwas gestelzt. „Die Musiker haben damit keine Probleme“, hat er gemerkt: „Zigeuner ist für mich kein Schimpfwort.“

Mit einem Album der jungen russischstämmigen Sängerin Suzanna, die jahrelang durch die Theater und Galerien von Mitte zog, hat Talmann vor drei Jahren seine Arbeit als Musikverleger begonnen. Traditionelle Roma-Lieder und schwermütige russische Balladen dominierten Suzannas Debüt „Tu Balval“.

Inzwischen haben Talmanns „Raumer Records“ eine ganze Reihe CDs veröffentlicht, die den Sound of Mitte und Prenzlauer Berg einfangen. Seit 1989 ist hier, durch den steten Zustrom von Musikern besonders aus Rußland, der Ukraine und Exjugoslawien eine eigene, osteuropäisch geprägte Musikszene heimisch geworden, die Kneipen und Cafés belebt. Diese Atmosphäre wollte Peter Talmann konservieren.

Daß nach der Wende russische Musik so in Mode kam, hat Peter Talmann selbst überrascht. Zwar haben sowjetische Filme wie „Ein Zigeunerlager zieht in den Himmel“, der in den Siebzigern in Insiderkreisen zum Kultfilm avancierte, die Ost-Sensibilität sicher gefördert. Mit der DDR-Sozialisation allein läßt sich der Nachwendeboom allerdings kaum erklären. Mindestens ebenso groß dürfte die Wirkung sein, die ein Streifen wie „Time of the Gypsies“ auch beim Westpublikum erzielte. Wie auch immer: Die Sängerin Suzanna hat Stücke aus beiden Filmen im Repertoire. Entdeckt und gefördert wurde die ausdrucksstarke Sängerin vom Klezmer-Chansonnier Karsten Troyke, dessen offene Bühne in den Hackeschen Höfen schon zur Institution geworden ist. Kein Wunder, daß die Musiker des Labels alle mehr oder weniger einer Szene entspringen, die in Berlin zu Hause ist.

Kann man das Raumer-Spektrum als urbane Folklore bezeichnen? Peter Talmann bevorzugt die Umschreibung „traditionelle akustische Musik“. Oder „Folk“, schließlich hat das Label-Zugpferd Suzanna beim Rudolstätter Folkfestival 1995 den zweiten Platz erreicht. Und das Berliner Balkan- Jazz-Trio Hora Colora, neu bei Raumers, gewann dort letztes Jahr den begehrten Förderpreis. Daniel Bax

Hora Colora spielen heute ab 21 Uhr mit der Gruppe Aufwind in der Werkstatt der Kulturen, Wissmannstr. 32

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