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■ Die 90er JahreVon wegen schön!

Wieder einmal hatte Werner Hinzpeter auf dem Podium die schwule Welt der 90er Jahre schöngeredet. Hatte sich selbst zitiert und zwischen die Seiten seines Buches „Schöne schwule Welt“ ein zufriedenes Lächeln gelegt. Schön? Nein! Amad stand auf und erzählte. Wie er eines abends allein in der Straßenbahn saß, von drei Skins angemacht und rausgewurfen wurde. Von wegen schöne schwule Welt! Amad Weiland, 36, aufgewachsen in der DDR, als Kind vom Staat gefördert, „weil ich sehr gut Klavier spielen konnte“. Als erstes DDR-Kind gewann er einen internationalen Klavier-Wettbewerb, trat vor SED-Größen auf, bekam einen Förderungsvertrag, durfte im Pubertätsalter die Meisterklasse an der Hanns- Eisler-Hochschule absolvieren, und Mitte der 80er durfte er in Moskau studieren. Da war das Kind bereits erwachsen und interessant für die Stasi geworden. „Ich war ja immer für diesen Staat. Ich war Kommunist.“ Als die Stasi von ihm verlangte, mit Ausländern sexuelle Kontakte einzugehen, da weigerte er sich. Spionieren unter der Bettdecke – nicht mit ihm. Amad bekam die Mechanismen des Staates zu spüren. Die Stelle an der Hochschule wurde ihm genommen, ein halbes Jahr vor der Wende schien seine Karriere beendet.

Amad Weiland Foto: Borrs

Die Wende. „Eine Befreiung“, sagt Amad. Einfach toll. Den Westen hatte er sich immer viel lauter vorgestellt. Mehr Autos. Mehr Lärm. Die Zeit danach erlebte er „wie besoffen“. Er hatte sein Coming-out, seinen ersten Freund, einen Israeli. 1990 erlebte er erstmals einen Christopher-Street-Day. Inzwischen hat Amad sich längst wieder eingerichtet. Gibt Klavierunterricht an der HdK, lebt mit einem Freund in einer festen Beziehung, im Westteil der Stadt. Im Westen? Eigentlich mag er nicht unterscheiden zwischen Ost und West. „Nur“, sagt Amad dann doch, „wenn ich im Osten bin, werde ich immer für einen Ausländer gehalten.“ In einem teuren Auto zu sitzen sei eine Wahnsinnsprovokation. Irgendwie ist Amad immer ein Außenseiter gewesen. Schon als Kind. „Die Leute verhielten sich distanzlos, völlig extrem.“ Die einen wuschelten dem kleinen schwarzen Jungen durchs Haar, die anderen bespuckten ihn. Nun ist er halt auch noch schwul. Na und? Jens Rübsam

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