: Wie Analverkehr ohne Gleitcreme
taz-Serie: 100 Jahre Schwulenbewegung (Teil 6): Über das Verhältnis zwischen Schwulen und Polizisten. Vorurteile der Beamten rühren aus Unwissenheit, sagt einer, der es wissen muß, und setzt auf Jörg ■ Von Jens Rübsam
Irgendwie hatten sie ihn rumgekriegt. Er hatte endlich zugesagt, nach mehr als einem Jahr Amtszeit. Der Innensenator in einem schwulen Laden! Eine Sensation!
Am Mittwoch war er da. Im Info-Laden Mann-O-Meter (MOM) in der Motzstraße, das erste Mal. Der Innensenator, drückt sich ein MOM-Mitarbeiter diplomatisch aus, wußte wenig über schwule Lebensweisen, über antischwule Gewalt, über Aids. Der Eindruck des MOM-Mitarbeiters nach mehr als einer Stunde Gespräch: „Jörg Schönbohm wollte wirklich etwas lernen.“ Er habe sich ausführlich informieren lassen, und dann habe er gesagt: „Ich will, daß Schwule in dieser Stadt sicher leben können.“ Schönbohm habe zugesichert, Anfang nächster Woche mit Polizeipräsident Saberschinsky über das Thema „Polizei und Homosexualität“ zu reden. Die MOM-Mitarbeiter hatten den Innensenator darauf aufmerksam gemacht, daß es noch immer Schutzpolizisten gibt, die über die Stränge schlagen.
Heinz Uth macht sich noch immer so seine Gedanken. Längst ist er nicht mehr Homo-Beauftragter der Berliner Polizei, das war er einmal, von 1992 bis 1995. Jetzt ist er in Rente, Träger des Bundesverdienstkreuzes, „wegen seines engagierten Eintretens bei der Bekämpfung antischwuler Gewalt“, und ein bißchen zufrieden darüber, was er erreicht hat: Kollegen und Kolleginnen sensibilisiert, ihnen klargemacht zu haben, daß sie nicht mehr unbeobachtet rauskommen aus Fehlhandlungen.
Das Verhältnis Schwule und Polizei ist so mühsam wie Analverkehr ohne Gleitcreme. „45 Prozent der Opfer wollen keinen Kontakt zur Polizei“, sagt Thomas Schaaf, Mitarbeiter des Schwulen Überfalltelefons. Sie befürchten, nicht ernst genommen oder gar als Kinderschänder abgestempelt zu werden. Sie haben kein Vertrauen zur Polizei. So verwundert es nicht, daß nur jeder achte Überfall auf homosexuelle Männer tatsächlich auch zur Anzeige kommt. Heinz Uth weiß, daß das auch immer vom Opfertyp abhängig ist. „Entscheidend ist, ob der Betroffene bereit und psychisch in der Lage ist und ob er genug Selbstbewußtsein hat, den langen Weg der Instanzen durchzustehen.“ Schutzpolizei. Kriminalpolizei. Gericht. Anzeige zu erstatten gegen Polizisten, die sich danebenbenommen haben, betrachten viele schwule Opfer als sinnlos. In der Regel verlaufen die Anzeigen im Sande, weil sich die Beamten gegenseitig decken. Meist komme es zu einer Gegenanzeige, „Widerstand gegen die Staatsgewalt“ heißt das dann – und als Zeugen treten die lieben Kollegen auf. Ein langjähriger Beamter versichert jedoch: Die „Beamtenmörder“ beim LKA, die in solch internen Fällen eingeschaltet werden, seien knallhart. Kennen keine Gnade mit den eigenen Mannen, wenn sich diese falsch verhalten.
Heinz Uth macht sich seine Gedanken. Zum Beispiel darüber, warum Vorfälle wie vor wenigen Monaten an der Klappe am Bayerischen Platz und an der Klappe am S-Bahnhof Steglitz noch immer passieren. Alte Moralvorstellungen in den Köpfen der Beamten? Vielleicht. Überreaktionen einzelner Beamten? Vielleicht auch das. Und vielleicht auch, weil Polizeibeamte Schwierigkeiten haben, Sexualität zu vergleichen. „Einem Polizisten würde niemals einfallen, einen 40jährigen Heterosexuellen, der eine 18jährige Prostituierte mitnimmt, als pädophil anzusehen. Aber einem 40jährigen Schwulen, der einen 18jährigen Strichjungen mitnimmt, unterstellt er sofort eine andere Sexualität.“ Sagt Uth.
„90 Prozent der Vorurteile rühren aus Unwissenheit.“ Thomas Schaaf weiß, wovon er redet. Seit 1993 schult er junge PolizistInnen in Fragen gleichgeschlechtlicher Lebensweisen. Rund 300 PolizeianwärterInnen waren es bis jetzt, die bei ihm im Rahmen ihrer Ausbildung dieses obligatorische Seminar absolviert haben – mal mit mehr, mal mit weniger Erfolg. „Viele wissen nicht mal, was ein Coming-out ist“, sagt Thomas Schaaf. Er habe auch schon Seminare erlebt, wo Teilnehmer nur Zeitung gelesen oder ihm alle Vorurteile, die es gegenüber Schwulen gibt, an den Kopf geknallt hätten. Das größte Vorurteil: Pädophilie ist gleichzusetzen mit Homosexualität. Hinzu kommen die gängigen: Schwule bilden Seilschaften; Schwule haben tausend Sexpartner im Jahr; Schwule treiben es ohne Ende. Den Anspruch, die Moralvorstellungen der Polizisten zu ändern, hat Thomas Schaaf nicht. Vielmehr gehe es ihm darum, daß die zukünftigen Polizisten keinen Unterschied mehr machen zwischen schwulen und anderen Gewaltopfern.
Daß sich Thomas Schaaf ab und an fragt, was diese Seminare nützen, hat einen konrekten Hintergrund: das Verhalten von Schutzpolizisten gegenüber Schwulen.
Ein Beispiel: Klappe, Bayerischer Platz, 14. Februar 1997.
Noch am 27. November 1996 haben Thomas Schaaf und ein Mitarbeiter des jetzigen Homo-Beauftragten der Polizei, Jörg Riechers, eine Schulung auf dem Abschnitt 41, Gothaer Straße, durchgeführt, genau eineinhalb Stunden lang. Thomas Schaaf erzählte vom Cruising, der nächtlichen Anmache unter freiem Himmel, von Dark- Rooms und von Klappen. Zwei Monate später zeigten Beamte jenes Abschnitts, was sie gelernt hatten: nämlich gar nichts.
Am Abend des 14. Februar 1997 hielt sich Werner Krüger* in der Klappe am Bayerischen Platz auf. Unauffällig. Ruhig. Bis zwei Polizisten in die Klappe stürmten und ihn rausholten. Die Begründung: Durchsuchung wegen des Verdachts der Drogenkriminalität und der Prostitution. Werner Krüger wurde aus der Klappe gezerrt und von den Beamten „brutal an die Außenwand geklatscht“. Sein Rechtsanwalt Wilhelm Lodde sagt: „Mein Mandant hat keinen Widerstand geleistet.“ Trotzdem sei er in Handschellen auf die Dienststelle geführt worden, habe sich dort auf den Boden legen müssen. Laut Werner Krüger habe ihm ein Polizist einen Fuß in den Nacken gestellt. „Es gab gar keinen Grund, meinen Mandanten mitzunehmen“, sagt Wilhelm Lodde. Krüger habe seinen Personalausweis dabeigehabt, aber das sei den Beamten egal gewesen. „Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist eklatant verletzt worden“, urteilt der Rechtsanwalt. Werner Krüger erstattete Anzeige gegen die Polizisten. Die Polizisten wiederum erstatteten Anzeige gegen Werner Krüger, wegen ordnungswidrigen Verhaltens. Krüger habe sich geweigert, sich auszuweisen. Das Verfahren läuft.
Ein zweites Beispiel: Am 20. Februar 1997 gegen 0.30 Uhr betrat Steffen Wolf* mit einem anderen Mann die Klappe am S-Bahnhof Steglitz. Wenige Minuten später klopfte es an die geschlossene Toilettentür. „Ausweiskontrolle!“ Die Männer kamen raus, die Polizisten nahmen den Personalausweis mit zum Streifenwagen. Nach fünf Minuten kamen sie zurück und begründeten die Kontrolle – mit dem Betäubungsmittelgesetz. „Ein Polizist hat zu mir gesagt, wenn es nach ihm ginge, würden alle Schwulen aus Berlin verschwinden“, erinnert sich Wolf. Auch hier haben die Kollegen die Vorschriften nicht eingehalten, sagt ein erfahrener Polizeibeamter. Die lauten nämlich: Nach dem Anklopfen an die Toilettentür zuerst den Namen nennen und dann den Grund des Einschreitens. Beides sei nicht erfolgt. Im übrigen, so der Beamte, hätte jeder Schutzpolizist mit ein wenig Menschenkenntnis wissen müssen, daß sich hier zwei Schwule aufhalten. Statt dessen seien die Männer wie potentielle Dealer behandelt worden.
„Antischwule Gewalt ist kein Kavaliersdelikt“, sagte Innensenator Schönbohm am Mittwoch im Gespräch mit den Mann-O-Meter- Mitarbeitern.
*Namen geändert
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