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Noch brüllt der Exbaulöwe: „Ich pack' aus: volle Pulle“

Ende des Monats beginnt am Landgericht Frankfurt der Prozeß gegen den Großbankrotteur Jürgen Schneider  ■ Aus Frankfurt am Main Klaus-Peter Klingelschmitt

Nun muß der Baulöwe hinter Gittern im Zirkus auftreten. Am 30. Juni 1997 beginnt vor dem Landgericht in Frankfurt am Main der Prozeß gegen Dr. Jürgen Schneider, den Boß der Schneider AG und Inhaber der Schneider GbR. Die Eintrittskarten (für die Presse) wurden limitiert vergeben. Und um einen der wenigen Plätze auf den Rängen zu ergattern, werden die ZuschauerInnen wohl schon in der Nacht vor Prozeßbeginn vor dem Gerichtsgebäude ihre Zelte aufschlagen müssen. Schließlich steht der spektakulärste Wirtschaftsprozeß aller Zeiten gegen den wohl größten Hasardeur und Blender aller Zeiten auf dem Spielplan der Justiz. Kreditbetrug, Betrug, Untreue und Urkundenfälschung werden dem Mann vorgeworfen, der auf der Flucht vor BKA und Interpol sein Toupet verbrannte – während sich andere steckbrieflich gesuchte Gangster eine Perücke kaufen oder gleich den Gesichtschirurgen aufsuchen.

Bei der Deutschen Bank, die bis 1994 exakt 1,184 Milliarden Mark in Form von Krediten in die schon längst bankrotten Firmen von Schneider pumpte, werde man sich „warm anziehen“ müssen, prophezeite Schneider im Februar 1996 nach seiner nicht ganz freiwilligen Rückkehr nach Deutschland. Schneider: „Ich pack' aus!“ Und zwar „immer volle Pulle“.

Das jedenfalls war das Motto von Schneider als er noch der (!) Schneider war, der Mann von Welt mit den Hochwasserhosen. Wer am Ende vor Gericht wen fressen wird, ist noch nicht raus. „Mit Gelassenheit“ sehe man dem Prozeß entgegen, hieß es bei der Deutschen Bank. Die Verluste sind längst wertberichtigt, die wegen dieser Verluste geringere Steuerschuld ist bezahlt – und an den von Schneider für die Kredite als „Sicherheiten“ hinterlassenen Immobilien hat sich die Deutsche Bank kerngesund gestoßen.

Geblieben ist der Imageschaden. Und das böse Wort von Hilmar Kopper, dem damals noch amtierenden Vorstandsvorsitzenden der Deutschen Bank, der die 500 Millionen Mark an Verlusten (Buchwert), die der Deutschen Bank durch den Bankrott von Schneider letztendlich tatsächlich entstanden, als „Peanuts“ bezeichnete. Peanuts – das Unwort des Jahres 1994.

Schneider will also auspacken. Aber was? Vermutlich nur heiße Luft, glaubt man bei der Staatsanwaltschaft, die der Deutschen Bank nach umfangreichen Ermittlungen einen erstklassigen Persilschein ausstellte: Anhaltspunkte für eine Anklageerhebung gegen Mitarbeiter Innen bei der Deutschen Bank oder bei anderen Banken, die Schneider und Schneider großzügig mit Bargeld versorgten, hätten sich nicht ergeben.

Doch die Deutsche Bank ist noch lange nicht aus dem Schneider. Denn die Deutsche Bank war indirekt auch Fluchthelfer für Schneider und seine Ehefrau Claudia – und nicht nur Geldgeber. Auf Anraten seiner Ärzte werde er einen Erholungsurlaub antreten müssen, hatte Schneider seiner Hausbank am 7. April 1994 schriftlich mitgeteilt. Und weil das Vorstandsmitglied der Deutschen Bank, Ulrich Weiss, diesen Abschiedsbrief, in dem Schneider auch um die Weiterführung seiner umfangreichen Immobilienvorhaben bat, zunächst bunkerte und eigene Ermittlungen in die Wege leitete. So hatten Schneider und Schneider vier Tage länger Zeit, um unterzutauchen.

Vor der Flucht meldete Schneider – ganz ordentlicher Kaufmann – beim Amtsgericht in Königstein noch schnell „Konkurs wegen Zahlungsunfähigkeit“ an. Die Koffer waren da schon gepackt: mit reichlich Bargeld und mit luftigen Sommerklamotten. Über eine Bank in London hatten sich Schneider und Schneider schon einmal 250 Millionen Mark auf ein Nummernkonto in der Schweiz (Genf) überweisen lassen, das von einem Mittelsmann bei Bedarf geplündert werden sollte.

In Deutschland zurück ließen Schneider und Schneider einen Schuldenberg von 6,347 Milliarden Mark und einige hundert geprellte Handwerksmeister in Frankfurt und in Leipzig, die an an den auf Pump erworbenen prachtvollen Immobilien der Gruppe Schneider – jetzt ganz offenbar für lau – herumgewerkelt hatten. Vorgestern abend teilte der Konkursverwalter Schneiders mit, daß die 2.000 Gläubiger aus der Konkursmasse erstmals Geld erhalten haben, 100 Millionen Mark sollen es sein.

Erst als Schneider und Schneider Deutschland längst verlassen hatten und den Bevollmächtigten der Deutschen Bank nach einer privat veranlaßten Durchsuchung der Büroräume von Schneider in Königstein gefälschte Kreditanträge und andere dubiose Papiere in die Hände fielen, wurde die Staatsanwaltschaft eingeschaltet.

Die Hatz auf Schneider und Schneider konnte beginnen. Und auf ihrem Höhepunkt wurde von Interpol in Paraguay das Gerücht in die Welt gesetzt, daß die Deutsche Bank eine Millionen US-Dollar als Kopfgeld für Schneider ausgelobt habe. Mitarbeiter von mehr oder weniger seriösen Blättern wollten das Ehepaar Schneider – oft zeitgleich – in der Schweiz und in Paraguay, auf den Bahamas oder auf Key West (Florida/USA) aufgestöbert haben.

Jürgen und Claudia Schneider werden sich in Miami bei der Lektüre solcher Zeitungen in ihren Liegestühlen am Strand oder auf dem Balkon ihrer unter falschem Namen gemieteten Wohnung köstlich amüsiert haben.

Doch nach einem Jahr war der Spaß vorbei. Zielfahnder spürten das Ehepaar „nach der größten Fahndungsaktion in der Geschichte des BKA“ in Miami auf. Schneider und Schneider wurden in U-Haft genommen. Und die Staatsanwaltschaft in Frankfurt richtete über das Auswärtige Amt ein Auslieferungsersuchen an die Justizbehörden von Florida.

Noch vor einer höchstrichterlichen Entscheidung über dieses Auslieferungsersuchen erklärte Schneider seine freiwillige Rückkehrbereitschaft. Seine Frau, so gab er zu Protokoll, habe die U-Haft in dem US-Knast in Miami nicht länger ausgehalten. An einem eiskalten Februartag des Jahres 1996 landete die Maschine mit Schneider und Schneider an Bord auf dem Rhein-Main-Flughafen. Noch in der Sommerjoppe und ohne Toupet winkte der braungebrannte Bankrotteur auf der Gangway kurz den Journalisten zu und lächelte in die Kameras. „Ich pack aus!“ – vor Gericht.

Auspacken durfte er dann seinen kleinen Koffer in seiner kleinen Zelle in einer U-Haftanstalt in Frankfurt. Sein Märchenschloß in Königstein war als Teil der kargen Konkursmasse ohnehin schon unter den Hammer gekommen – wie auch sein gepflegter Oldtimer.

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