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Der deutschen Wirtschaft geht es prima

■ Der frühere SPD-Arbeitsminister Herbert Ehrenberg hält in seinem neuen Buch die Standortdebatte für eine Propagandainszenierung der Wirtschaftsverbände

Bonn (taz) – SPD-Parteichef Oskar Lafontaine hatte es ja schon immer gesagt: Globalisierung ist kein Fluch, sondern eine Hoffnung, dem Standort Deutschland geht es prima. Seit einigen Tagen bekommt der einsame Rufer in der Wüste nun geballte Unterstützung. Ein Arbeitsminister nach dem anderen schart sich um ihn.

Nachdem der aktuelle Arbeitsminister Norbert Blüm vor einigen Tagen die „Panikmache“ in der deutschen Standortdebatte angeprangert hatte, stellte gestern der ehemalige Arbeitsminister der SPD, Herbert Ehrenberg, in Bonn ein Buch mit dem Titel „Die große Standortlüge“ vor. Lafontaine hielt die Laudatio mit sichtlichem Vergnügen.

Um seine Freude komplett zu machen, brachte gestern auch noch SPD-Fraktionschef Rudolf Scharping eine Studie der Uni Köln in Umlauf, derzufolge Vermögen in Großbritannien und den Niederlanden deutlich höher besteuert werden als in Deutschland. Ist in Deutschland also alles paletti und wenn nicht, krankt es dann eher an zu hohen privaten Vermögen als an zu hohen Löhnen?

Ehrenberg, Bundesarbeitsminister von 1976 bis 1982, kritisiert die Standortdebatte als Propagandamasche der Wirtschaftsverbände. Die Behauptung der Industrie, die Gewinne der deutschen Unternehmen seien zu gering und die Preise zu hoch, sei falsch.

So habe die Gewinn-Erlös-Relation mit 4,78 Prozent im Jahr 1996 den höchsten Stand seit 1970 erreicht. Deutschland sei Exportvizeweltmeister. An der Wettbewerbsfähigkeit könne es also nicht mangeln.

Als willkürlich bezeichnet Ehrenberg den unter anderem von der Bundesbank behaupteten Zusammenhang zwischen Reallohnzuwachs und höherer Arbeitslosigkeit. Er führt zahlreiche Gegenbeispiele an. Von 1984 bis 1989 habe sich trotz eines Reallohnzuwachses von 11,8 Prozent die Zahl der Beschäftigten um rund 1,4 Millionen erhöht. Während das private Geldvermögen seit 1980 um das 3 3,3fache gestiegen sei, hätten die Nettolöhne nicht einmal das doppelte Volumen erreicht. Eine aktuelle Studie des Blüm-Ministeriums weist ebenfalls Kritik an den Arbeitskosten zurück. Gemessen an der Produktivität seien sie abgesehen von Japan die niedrigsten in der Welt. Die Arbeitslosigkeit will Ehrenberg durch „zugegebenermaßen alte Rezepte“, nämlich die Ankurbelung der Nachfrage, beheben. So könnte das marode Kanalnetz für etwa eine halbe Billion Mark modernisiert werden. Als Finanzierungshilfe käme ein teilweiser Verkauf der Goldreserven in Betracht.

Ob das ein Vorschlag für das Wahlkampfprogramm der SPD wäre, wird Oskar Lafontaine gefragt. Solche Investitionen müsse man „zeitangepaßt“ machen, sagt der Parteichef zunächst ausweichend und meint damit wohl, daß er die Idee für undurchführbar hält.

Aber weil an diesem Tag alles so schön harmonisch ist, sagt er: „Ehrenberg hat völlig recht.“ Und nach einer Kunstpause schmunzelnd: „Das Kanalnetz zu erneuern würde uns nicht in die Globalisierungsfalle jagen.“ Markus Franz

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