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Schäuble läutet die Krise ein

■ Bundestag soll „Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts“ ausrufen, um Neuverschuldung zu rechtfertigen. DIW-Konjunkturforscher kritisieren Finanzpolitik

Berlin (taz) – Die Bundesregierung muß nun schon im zweiten Jahr hintereinander die finanzielle Notbremse ziehen. Gestern sagte Wolfgang Schäuble, der Chef der Unionsfraktion im Bundestag, in der ZDF-Sendung „Was nun?“, daß die Neuverschuldung der Bundesregierung 1997 die Summe der Investitionen übersteigen wird. Das aber ist laut Artikel 115 des Grundgesetzes nur möglich, wenn der Bundestag offiziell eine „Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts“ feststellt. Schon letztes Jahr mußte diese Störung proklamiert werden. Schäuble nannte als Gründe den „beschleunigten Rückgang der Steuereinnahmen“ und eine Arbeitslosigkeit, die höher ist, „als alle vorhergesagt haben“.

Die Konjunkturforscher des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) konnten gestern den Bonner Politikern keineswegs Erleichterung verschaffen. In ihren halbjährlichen „Tendenzen der Wirtschaftsentwicklung“ prognostizierten die Berliner Forscher ein Wirtschaftswachstum von etwa 2 Prozent für dieses und nächstes Jahr. Noch gestern hatte der Kanzler auf dem bayerischen Unternehmertag offiziell von 2,5 und 3 Prozent gesprochen. Die Arbeitslosenzahl soll laut DIW dieses Jahr 4,38 Millionen (11,4 Prozent der Erwerbstätigen) und 1998 sogar 4,66 Millionen erreichen.

Das DIW kritisierte die Diskussion um den Euro. Ob die Neuverschuldung bei 3,0 oder 3,2 Prozent liege, sei vergleichsweise unbedeutend für die Stabilität des Euro. Dieser müsse kommen, damit nicht einzelne Staaten ihre Wirtschaftskrisen auf Kosten der Nachbarländer beheben – wie etwa Großbritannien Anfang der 90er Jahre durch eine Abwertung des Pfunds.

Besonders schlimm sieht das DIW die Situation in Ostdeutschland, weil dort die Wirtschaft noch nicht fit genug sei, um auf eigenen Beinen zu stehen. Hinzu komme dort der starke Rückgang der Baukonjunktur. Dazu paßte gestern die Meldung, daß die Bundesregierung die Förderung des Arbeitsmarktes in Ostdeutschland 1998 um 4,5 Milliarden Mark reduzieren will. Wolfgang Schäuble hat jedoch gestern versichert, daß die Leistungen für den weiteren Aufbau Ostdeutschlands „nicht substantiell“ eingeschränkt werden sollen. Reiner Metzger

Bericht Seite 4

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