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Paris auf dem Weg nach Europa

Frankreichs Premier Jospin will die Staatsausgaben senken und die Einnahmen steigern. Das Defizit beträgt 1997 mindestens 3,6 Prozent  ■ Aus Paris Dorothea Hahn

„Haben Sie Juppé gesehen?“ eröffnete gestern morgen ein grinsender Nachbar den Plausch auf dem Treppenabsatz. „Äh. Ich meine natürlich Jospin“, korrigierte er sich im nächsten Atemzug, „neuerdings verwechsle ich die Namen des Ex- und des neuen Premierministers. Vielleicht haben die doch mehr als den Anfangsbuchstaben gemeinsam.“

Am Vorabend hatte der Sozialist Lionel Jospin seinen ersten Fernsehauftritt als Premierminister absolviert. Vier Wochen nach seinem Amtsantritt erwarteten die Franzosen von ihm konkrete Schritte in Sachen Arbeitsplätze, Arbeitszeit, Staatsunternehmen und Haushaltspolitik – Bereiche, für die die Sozialisten im Wahlkampf eine Menge versprochen hatten. Doch Jospin beschränkte sich darauf, seine bisherige Politik zu rechtfertigen, die Kohabitation mit dem neogaullistischen Präsidenten Jacques Chirac zu loben und die großen wirtschaftlichen Projekte auf den Herbst zu verschieben. Statt Neues anzukündigen, sprach er von „Realismus“ und davon, daß er „Zeit“ brauche. Zugleich ließ er durchblicken, daß ein Defizit im Staatshaushalt „selbstverständlich“ ausgeglichen werden müsse, wenn es über drei Prozent liege.

Die genauen Ausmaße des Staatsdefizits werden die Franzosen erst am 21. Juli erfahren, wenn ein Bericht der Rechnungskommission veröffentlicht wird. Doch Finanzminister Dominique Strauss-Kahn ließ vorgestern schon durchblicken, daß die von Bonn verlangten „drei Komma null Prozent“ nicht erreicht werden. Statt dessen sprach er von einem Defizit zwischen 3,4 und 3,8 Prozent. Das bezeichnete er als Fortschritt, hatte es doch bei 5,6 Prozent (1995) und 4,8 (1996) gelegen.

Zeitgleich mit derart explosiven Ankündigungen sorgte Außenminister Hubert Vedrine mit einem Antrittsbesuch in Bonn für gute Stimmung. Am Donnerstag wurde er von Helmut Kohl empfangen – ein Privileg, das seine Vorgänger nicht hatten – und radelte mit seinem Kollegen Klaus Kinkel am Rhein entlang. „Es gibt Differenzen wie bei jedem Paar“, ließen die beiden durchblicken, „aber wir sind gemeinsam und in derselben Richtung unterwegs.“

Wie die französische Regierung das Haushaltsloch stopfen will, ist noch offen. Unter anderem ist die Rede von Vermögens- und Kapitalsteuern und von Abgaben auf private Rentenversicherungen. In jedem Fall – das versicherten Premier- und Finanzminister – sollen die zusätzlichen Abgaben „sozial“ verteilt sein.

Die Franzosen haben verstanden, daß mit diesen nebulösen Ankündigungen die Schonfrist beendet ist. Nachdem Jospin bereits den Stabilitätspakt unterzeichnet hat, den er im Wahlkampf noch ein „absurdes Zugeständnis an Deutschland“ geschimpft hatte, und nachdem er entgegen seinem eigenen Engagement jetzt die Schließung des Renault-Werkes – wenn auch sozialverträglich abgefedert – im belgischen Vilvoorde mitträgt, wird er im Herbst auch im französischen Inland härter zulangen. Unter anderem erwägt die Regierung, Staatskonzerne wie „Thomson“ zu privatisieren. Diesen Tabubruch kündigte Jospin bereits mit der Warnung vor den Kosten durch „häufige Rekapitalisierungen“ und mit dem „nationalen Interesse“ an.

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