: Hamburger Strahlenopfer fordern Entschädigung
■ Neues Gutachten im Strahlenskandal an der Uniklinik Hamburg: Patientinnen wurden durch völlig veraltete Behandlungsmethode zum Teil schwer verletzt
Hamburg (taz) – Anfangs war es nur ein winziger Tumor in der linken Brust: Dagmar Buntrock ließ sich 1991 in einem Krankenhaus vor den Toren der Hansestadt operieren. Die Ärzte schickten die damals 45 Jahre alte Frau vorsorglich zur radiologischen Behandlung nach Hamburg. Im dortigen Universitätsklinikum wurde im Winter 1991 nicht nur die Brust, sondern auch die Schlüsselbeinregion bestrahlt – mit einer Einzeldosis von drei Gy. Seitdem leidet die Mutter eines Sohnes Höllenqualen. Bei der geringsten Anstrengung kommt es zu massiven Schwellungen. Die Patientin meint, der linke Arm und die Hand würden platzen. „Elephantenarm“ nennt die Medizin dieses Phänomen. Regelmäßige Lymphdrainagen und ein Kuraufenthalt brachten bisher kaum Linderung.
Dagmar Buntrock und mindestens zehn weitere Brustkrebspatientinnen wurden zwischen 1979 und 1993 in der gynäkologischen Radiologie der Universitätsklinik Hamburg-Eppendorf (UKE) nachweislich mit einer völlig veralteten Methode behandelt. Es geht um zusätzliche Bestrahlungen der Schlüsselbeingrube (Supraklavikularregion), die laut einem neuen Expertengutachten „auch in individuellen Einzel- und Gesamtdosen seit 1980 nicht indiziert“ sind. Patientenanwalt Wilhelm Funke bemüht sich seit 1993, die Schadenersatzforderungen der Patientinnen durchzusetzen.
Das neue Votum der Strahlentherapeuten Horst Sack, Rolf Sauer und Michael Wannenmacher hat der Hansestadt, die sich bisher um Entschädigungszahlungen herumgedrückt hat, offenbar den Wind aus den Segeln genommen. Nachdem die Expertise zunächst unter Verschluß gehalten worden war, hat die verantwortliche Behörde am Sonntag Vergleichsverhandlungen mit den betroffenen Frauen angekündigt. Zwei Patientinnen hätten bereits Angebote für Abschlagszahlungen erhalten, hieß es.
Die namhaften Strahlentherapeuten hatten sich Mitte des Monats zwanzig Patientinnenakten vorgenommen und bei neun Fällen aus der Zeit von 1969 bis 1978 die Bestrahlung für gerade akzeptabel erklärt. Die verbleibenden elf Krebskranken seien jedoch „nicht dem wissenschaftlichen Kenntnisstand von 1980 entsprechend“ behandelt worden. Damit hat das Radiologentrio ihrem inzwischen frühpensionierten Kollegen Hans- Joachim Frischbier, dem damaligen Chef der radiologischen Gynäkologie, erstmals eine Serie von Fehlern nachgewiesen. Zuvor hatten zwei andere Expertenkommissionen den Strahlentherapeuten geschont und die Opfer auf den Klageweg verwiesen.
„Ein derartig vernichtendes Gutachten habe ich noch nicht in der Hand gehabt“, so Anwalt Wilhelm Funke, der insgesamt 150 Brust- und Unterleibskrebspatientinnen vertritt, die von Frischbier behandelt wurden. „Man hätte damals wissen können, daß die Einzeldosis der Bestrahlungen nicht über zwei Gy liegen darf.“ Möglicherweise sei nur die Spitze des Eisbergs erfaßt worden, da nach 1980 noch mehrere hundert andere Brustkrebspatientinnen in der Schlüsselbeinregion bestrahlt worden sind. „Ich pfeife auf die bloße Ankündigung der Stadt, daß die Patientinnen jetzt entschädigt werden sollen“, wettert der Patientenanwalt, der seinen Mandantinnen empfehlen wird, sich erst dann auf Verhandlungen einzulassen, wenn die ersten Abschlagszahlungen auf dem Konto eingegangen sind.
Funke hat schlechte Erfahrungen gemacht: Die Behörde hatte 1996 einer anderen Patientengruppe aus dem UKE-Strahlenkomplex Schadenersatz zugesagt, dieses Versprechen aber später vor Gericht zurückgenommen. Darunter ist beispielsweise der Fall der 58jährigen Margot Haul, die von Frischbier wegen eines Unterleibstumors behandelt worden war und eine strahlenbedingte Darmschädigung davontrug. Ihr Gerichtsverfahren wird noch Jahre in Anspruch nehmen. Andere Patienten werden den Ausgang ihrer Prozesse nach Funkes Einschätzung nicht mehr erleben.
Daß von 1986 bis 1990 in der UKE-Radiologie zahlreiche KrebspatientInnen durch zu hohe Strahlendosen geschädigt worden waren, wurde 1993 bekannt. Der Leiter der Radiologie wurde vom Dienst suspendiert. Zwei Jahre später geriet der Gynäkologe Hans-Joachim Frischbier unter Verdacht, Bestrahlungsdosen zu hoch angesetzt zu haben. Bisher wurden etwa 19 Millionen Mark Entschädigungen gezahlt. Die Uniklinik rechnet mit Schadenersatzansprüchen in Höhe von rund 57 Millionen Mark und verfügt heute – im Gegensatz zu damals – über eine Betriebshaftpflichtversicherung. Lisa Schönemann
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