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Wenn Polizei – du rausfliegen

Achille vermittelt Schwarzarbeiter – überall und für jeden Job. Dabei ist er auch Lebenshelfer und wichtiger Konkurrent der Mafia  ■ Aus Turin und Matera Werner Raith

Damit das klar ist“, sagt Achille langsam und wiederholt es gleich dreimal: „Versicherung – ist nicht. Steuer – ist nicht. Wenn Polizei – du rausfliegen. Kapiert?“ Der Mann mit der braungebrannten Haut nickt. Dann lächelt er: „Du mußt nicht Vucumpra mit mir reden. Ich bin Italiener.“ Ach so, brummt Achille, „hatte ich fast vergessen, bei all den Ausländern.“

„Vucumpra“ ist der Ausdruck für zugewanderte, meist illegale Tand- und Andenkenverkäufer und kommt von „Vuoi comprare“, willst du kaufen: Mittlerweile wird der Ausdruck auch einfach aufs geradebrechte italienisch verwendet. Achille hat viele „Kunden“ aus dem „Vucumpra“-Bereich, aber „in den letzten Jahren sind es mehr und mehr Italiener, die sich an mich wenden“. Achille vermittelt Arbeit – illegal, schwarz, und dies ausdrücklich, und gleichgültig, für welches Gewerbe: „Tomatenpflücker genauso wie Partymädels, Aushilfskellner wie Fassadenanstreicher.“ Sogar einige Schriftsteller kennt er, die er zu Tagungen vermittelt – „aber die kriegt man schwer los, da gibt's noch mehr davon als Hilfsarbeiter für den Bau“.

Er lacht, und der braungebrannte Mann lacht mit. „Also, wann kann ich anfangen?“ „In einer Stunde, ich ruf mal an.“ Achille zückt sein Handy. Zehn Minuten später steht der Mann auf der Staatsstraße 7, der Via Appia, südlich von Capua in der neapolitanischen Campania, und wenige Minuten später holt ihn ein klappriger Fiat 1100 ab. In dieser Zeit hat Achille noch zwei weitere Bewerber mit Aufträgen versorgt – und gut ein Dutzend weiterer stehen draußen vor seinem Wohnwagen.

Ein Büro hat er nicht – „wäre zu gefährlich“ sagt er, „wegen der Guardia di finanza“, der in Italien höchst gefürchteten Finanzpolizei, „aber auch wegen der Leute, die nicht zufrieden sind, besonders hier im Süden.“ Ist er also ein Gauner, der schlechte Arbeit vermittelt, die Leute hereinlegt? „Nein“, sagt er, ohne daß die Frage überhaupt gestellt worden wäre: „Ich bescheiße niemanden. Ich vermittle und hoffe, die Leute bekommen ihr Geld: ich jedenfalls bekomme meinen Anteil erst, wenn auch sie Geld erhalten. Kriegen sie kein Geld, kriege ich auch keins. So einfach ist das.“

Kann er da überhaupt zurechtkommen? Er nickt und reicht einem Schwarzafrikaner ein Billett hinüber mit einer Adresse: „Du lesen? Da Adresse: morgen hingehen, verstanden, nix heute, sonst rausfliegen, Chef da. Aber morgen, morgen nicht Chef da, sondern Vorarbeiter. Vorarbeiter mein Mann. Kapiert?“ Das Afrikaner nickt, liest den Zettel dreimal halblaut, bis er die Aussprache beherrscht, sagt: „Si, Buana“, und geht. Achille bedeutet dem Rest der Schlange, daß es jetzt eine Pause gibt: „Wir trinken einen Espresso, komm.“

Auf dem Weg zur Kaffeebar erklärt er die Lage: „In Italien gibt es vier verschiedene Arbeitsmärkte. Das eine ist der legale, da stimmt alles hunderprozentig, von der Steuer über die Versicherung bis zum Arbeitsschutz und dem Betriebsrat. Ich würde sagen, dessen Anteil ist nicht einmal zehn Prozent: eigentlich nur Schaufensteranstellungen, falls mal eine Kontrolle kommt. Das gilt übrigens auch für große Industriefirmen. Dann der graue Markt: Das sind Leute, für die zum Teil Abgaben und Versicherungen bezahlt werden, der Rest geht schwarz über den Tisch. Das ist gut die Hälfte aller Beschäftigten. Dann ist da die Schwarzarbeit, das sind Leute, die zwar legal arbeiten könnten, aber aus irgendwelchen Gründen nicht wollen. Etwa weil sie, wenn sie Abgaben zahlen würden, nicht von dem Rest leben oder ihre Familie ernähren könnten. Das sind gut zwanzig Prozent aller, die in Italien irgendwas arbeiten. Und dann ist da noch das, was ich die ,schwarze Arbeit‘ nenne: Leute, die gar keine andere Wahl haben, als illegal zu arbeiten. Sie arbeiten nicht nur schwarz, sondern werden auch noch erpreßt, etwa weil sie, wenn man sie anzeigt, auch noch des Landes verwiesen werden. Aber derlei gibt es auch bei Einheimischen: Rentner etwa, denen man jede Lira, die sie dazuverdienen, von der Rente abziehen würde. Oder auch Frauen, die heimlich arbeiten, weil der Mann sich zu Tode schämen würde, wenn herauskäme, daß er nicht genug verdient.“ Achille trinkt einen Schluck Wasser nach seinem Espresso und macht sich wieder zu seinem Wohnwagen auf.

„All diese Leute, die Schwarzarbeiter und die mit der schwarzen Arbeit“, sagt er, „die haben alle nicht nur finanzielle Probleme: sie haben auch oft seelische Nöte: Überlebensängste, Angst um die Familie, um die Kinder. Ihnen dabei zu helfen ist oft wichtiger als die Arbeitsvermittlung.“

Achille, der Menschenfreund? Er lächelt, antwortet wieder, ohne daß er tatsächlich gefragt worden wäre: „Ja, ein wenig schon, ich wollte eigentlich Priester werden.“ Er sagt es ohne Ironie und ohne Arroganz, einfach so, daß man es glaubt und auch den Zusammenhang akzeptiert. „Dann ist mir ein Frauenzimmer dazwischengekommen, und aus war's.“ Die Beziehung hat nicht gehalten, aber die Theologie war perdü. Danach hat er Ökonomie studiert.

Seit drei Jahren reist der Fünzigjährige landauf, landab und nistet sich ein, wo er glaubt, daß er ohne große Schwierigkeiten vermitteln kann. „Auffliegen darf man halt nicht“, sagt er, „und man muß wissen, welche Gebiete tabu sind.“ Er zeigt hinunter auf Neapel, über das der Wagen gerade auf der Umgehungsstraße hinwegtuckert. „Hier herrscht die Camorra, da geht nichts für einen wie mich. Auch Sizilien ist ausgeschlossen, Teile von Kalabrien, Apulien. In gewisser Weise sind wir ja Konkurrenten um die Leute, die zu allem bereit sind. Aber es gibt große weiße Flecken, da sitzen weder Camorra noch Mafia.“

Ein solcher „weißer Fleck“ liegt zwischen Potenza und Matera in der Basilicata, dem ehemaligen Lukanien, einer steinigen, ausgezehrten Gegend, aus der die meisten jungen Menschen ausgewandert sind. Den einzigen größeren Fluß hat man gleich nach dem Krieg unter dem Motto „Wasser für den Süden“ in riesige Metallrohre geleitet, und seither flimmert sein altes, bis zu zweihundert Meter breites, steinübersätes Bett in der heißen Sonne, völlig trocken.

Achille hält hier an mehreren Stellen außerhalb der Orte an – und wie durch ein Wunder tauchen wenig später Dutzende von Menschen auf: Frauen und Männer, junge und alte. Ausgemergelte Gestalten zum Teil, dazwischen aber auch kräftige Burschen. „Die suchen keine Stelle hier in der Umgebung, die möchten in den Norden.“ sagt er. „Doch der Norden ist derzeit fast ganz zu: die rassistische, separatistische Lega-Bewegung schüchtert alle Unternehmer und Bauern ein, die Leute aus dem Süden beschäftigen.“

Trotzdem hat er einige Angebote mitgebracht – und am Abend hat er einen kleinen Bus voll, der am nächsten Tag aufbrechen soll. Ein paar Automechaniker nimmt er mit, einen Friseurlehrling, zwei Frauen, die sich mit Computern auskennen – aber keine Fabrikarbeiter: „Die kriege ich derzeit nirgendwo los. Nur Kleinbetriebe nehmen Leute an.“

Ganz ungestört ist sein Geschäft jedoch auch hier nicht: Nach einem Stopp in Altamura kommt Achille plötzlich verstört aus dem Wagen, ein baumlanger junger Kerl, der zuvor eingestiegen war, macht mit der Hand ein Zeichen in die Luft, das „Hau ab“ heißen könnte, und geht dann betont langsam weg. „Er sagt, daß ich hier nur mit Erlaubnis von Don Carmelo arbeiten darf“, flüstert Achille, „aber den kenn' ich gar nicht. Vielleicht ein wildgewordener Bauer, der Angst hat, daß ich ihm sein miesbezahltes Gesinde ausspanne.“

Jedenfalls packt er seine Sachen nun hastig zusammen – mit ziemlich verzweifelten Gesichtern bleibt die Warteschlange zurück. Achille fährt lieber wieder nach Norden. Das Adressenverzeichnis vermittelter Frauen und Männer, das er in seinen Laptop hackt, kann sich trotzdem sehen lassen. Etwa die Hälfte der Vermittelten hat er im Süden untergebracht: „Mit Bauchschmerzen“, sagt er. „Denn auch wenn ich schon sehr aufpasse, daß die Arbeitgeber auch wirklich bezahlen, weiß ich nicht, ob die Leute nicht doch nur ausgebeutet werden. Manch einer kriegt nach zwölf Stunden Krummbuckeln auf glühendheißen Tomatenfeldern am Abend gerade mal einen Zehntausender raus (zehn Mark), da kann ich dann kaum mehr als einen Tausender für mich beanspruchen, sonst verhungert mir der noch. Andere schaffen am Tag fünfzigtausend, aber auch nur ab und zu, da bleibt dann für mich im Monat so ein Hunderttausender – auch nicht viel. Die Menge der Leute macht's.“

Er steuert eine Autobahnraststätte nördlich von Rom an. „Das ist der Unterschied zum Norden: Dort wird auch geschuftet, aber am Ende bleibt auch etwas. Die Bauern und Kleinunternehmer, denen ich Schwarzarbeiter verschaffe, wollen vor allem Steuern und Abgaben sparen, ansonsten zahlen sie aber einigermaßen und meist auch genau das, was ich mit ihnen vereinbart habe. Deshalb vermittle ich die Leute aus dem Süden auch lieber in den Norden, trotz der Schwierigkeiten.“

Nach einer Übernachtung in Modena geht es weiter Richtung Mailand. Drei Stopps legt er in der Poebene ein: „Hier sind wir schon im Bereich der Sezessionisten, da kann ich mit ruhigen Gewissen vermitteln – alles, außer natürlich Südlichter.“ Sein Wagen ist dabei kaum weniger umlagert als in der Basilicata. Täuscht der Eindruck, oder vermittelt er, verglichen mit dem Süden hier wirklich eher gehobenere Posten? Er täuscht nicht: „Die Arbeitslosen hier sind ein anderer Menschenschlag als im Süden. Die wissen, selbst wenn sie verzweifelt sind, noch immer genau, wonach sie suchen: Sie stellen Ansprüche, sagen: ich mache bisher das und das, aber das gefällt mir nicht. Ich möchte mehr verdienen und möglichst, ohne Steuern zu zahlen. Oder: Ich habe seit drei Jahren keine Arbeit, aber ich will mich auch nicht für nichts kaputtschuften.“

Viele dieser Frauen und Männer haben schon einen kleinen Rentenanspruch angehäuft, und nun wollen sie noch einmal kräftig zulangen. Der Schwarzarbeitsvermittler sieht's mit Wohlgefallen: „Hier gibt's zwar massenweise Schwarzarbeiter, aber kaum schwarze Arbeiter, im Süden ist es umgekehrt.“ Er merkt es auch an den Verhandlungen – zäh versuchen die Arbeitssuschenden, ihn auch noch bei der Vermittlergebühr zu drücken. Meist gibt er nach – „die Masse macht's“.

Daß er nicht am Hungertuch nagt, ist an seiner Wohnung in Como zu erkennen: teure Möbel, drei Bäder, ein Swimmingpool, Kellerbar und viel, viel Rasen drum herum. Hier empfängt er niemanden „außer Freunden“, keine Bittsteller. „Fünfzehn Jahre Knochenarbeit“, sagt er, und am Ende verrät er auch noch, welchen Beruf er vor seiner Vermittlertätigkeit augeübt hat: er war Finanzpolizist.

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