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„Diese Haushaltspolitik ist nicht seriös“

■ Der NRW-Finanzminister Heinz Schleußer (SPD) zur Finanzpolitik der Bundesregierung

taz: Das Kabinett hat am Freitag den Nachtragshaushalt 1997 und den Entwurf zum Haushalt 1998 verabschiedet. Was sind Ihre Hauptkritikpunkte?

Heinz Schleußer: Diese Haushaltspolitik ist nicht seriös. Da werden lediglich notdürftig Löcher gestopft, mit zum Teil zweifelhaften Methoden wie zum Beispiel der Verlagerung von Tilgungszahlungen in die Zukunft. Vieles, was jetzt nachgebessert wird, ist außerdem nicht vom Himmel gefallen. Die Probleme mit den wachsenden Kosten der Arbeitslosigkeit waren seit langem bekannt und sind ignoriert worden. Wie die Bundesregierung bei diesem Anstieg der Neuverschuldung darauf beharren kann, die Konvergenzkriterien für Maastricht einzuhalten, kann ich nur bewundern. Ich sehe nicht, wie das möglich sein soll.

Wie groß ist Waigels Verantwortung?

Meine Kritik richtet sich nicht in erster Linie an den Finanzminister. Er ist zwar für die Finanzpolitik verantwortlich, aber trotzdem davon abhängig, welche Rahmenbedingungen herrschen. Dazu gehört die problematische Rolle des kleinen Koalitionspartners. Vieles, was die FDP durchsetzt, dient nicht dem Land, sondern dem eigenen Überleben.

Die SPD hat während ihrer Regierungszeit Nachtragshaushalte aufgestellt. War das damals ebenfalls die Folge unseriöser Haushaltspolitik?

Ich werfe der Regierung ja gar nicht vor, daß sie einen Nachtragshaushalt vorlegt. Ich habe das im Juni in Nordrhein-Westfalen auch gemacht. Die Frage ist: Was passiert mit den 18 Milliarden Mark, die Waigel zusätzlich aufgenommen hat, weil angeblich das gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht gestört ist? Die Bundesregierung setzt das Geld ja nicht zur Verringerung der Arbeitslosigkeit ein – sie stopft nur Haushaltslöcher.

Was könnte die SPD tun, wenn sie an der Regierung wäre?

Als erstes müßten wir eine solide und vor allem kalkulierbare Einnahmesituation wiederherstellen. Steuergesetze müssen so ehrlich sein, daß wir von den Folgen nicht überrascht werden. Ich weiß noch, wie Theo Waigel die Kosten des Standortsicherungsgesetzes mit vier Milliarden Mark beziffert hat. Als Nordrhein-Westfalen neun Milliarden nannte, wurden wir beschimpft, Horrorzahlen zu liefern. Im Ergebnis kostete es zwölf Milliarden Mark.

Aber wenn die SPD ehrlich die Haushaltslücken nennt, sind damit die Probleme nicht gelöst. Wie würde die SPD vorgehen?

Dies ist aber der entscheidende Schritt. Ohne den zu machen, wird es keine tragfähigen Konzepte geben. Jetzt müssen Sie die Koalition fragen. Mit deren Vorschlägen geht es jedenfalls nicht.

Glauben Sie, daß das Steuerkonzept der SPD aus der Krise helfen kann? Die Wirtschaftsinstitute im Finanzausschuß waren sich einig, daß der reine Steuerteil so gut wie keine Auswirkungen hat.

Die Regierung senkt de facto seit Jahren die Unternehmenssteuern, sie sind inzwischen auf dem niedrigsten Stand seit Bestehen dieser Republik und dabei steigt die Arbeitslosigkeit auf Rekordhöhen. Dieses Konzept kann also nicht stimmen. Entscheidend ist, wir haben die historisch höchste Abgabenlast. Dort müssen wir beginnen und die Lohnnebenkosten senken.

Die Senkung der Lohnnebenkosten soll nach Ansicht der Institute auch nur ein paar 100.000 Arbeitsplätze bringen.

Das ist nicht der Stein des Weisen. Aber wir müssen die Schritte in der richtigen Reihenfolge gehen. Wir können uns mit der Koalition auf die Senkung der Lohnnebenkosten und die Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer einigen. Dann wollen wir mal weitersehen. Interview: Markus Franz

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