■ Querspalte: Eine Stadt sieht rot
Lange bevor das Wort Imageproblem existierte, hatte Wolfsburg eins. Die Stadt, die bis 1945 Stadt des KdF-Wagens hieß und heute noch so aussieht, war 1938 gegründet worden, weil die Arbeiterinnen und Arbeiter, die dort Ferdinand Porsches Volkswagen produzierten, irgendwo wohnen mußten. KdF – für die Jüngeren unter uns – ist die Abkürzung für „Kraft durch Freude“, die Tourismussparte der Nazi-Gewerkschaftssubstitution Deutsche Arbeitsfront. Dann hieß es statt Volks- Kübelwagen bauen, die Wehrmacht mußte ja irgendwie vorwärts- und (später wieder) zurückkommen. Die Belegschaft bestand bald zu zwei Dritteln aus Zwangsarbeitern, Kriegsgefangenen und KZ-Häftlingen.
Nun wallt Zorn auf in Wolfsburg. Die Einwohner sind empört. Ausgerechnet ein Ballspieler aus Litauen hat sie beleidigt. Valdas Ivanauskas, als prominenter Neuzugang des Bundesligaaufsteigers VfL Wolfsburg bereits gemeldet, ließ das Engagement platzen. Den Vorwand (Fußballprofis würden von Alibi sprechen) schob er seiner Gemahlin unter, die ausrichten ließ: „Man kann nicht in Wolfsburg leben.“ Den Volkssturm der Entrüstung hätte eine Marketingfirma nicht besser planen können. Denn ein Angriff von außen, so eine massenpsychologische Binsenweisheit, fördert den inneren Zusammenhalt.
Am Tag danach rasten Reporter von RTL, Sat.1 und N3 durch Wolfsburgs spektakulär möblierte Fußgängerzone, um gekränkte Passanten aufzuspüren, denen sie ihr Mikrofon ins Gesicht halten konnten: „Soll er doch nach Litauen gehen, wenn er's da schöner findet.“
Während eine Lokalzeitung fix eine Sonderseite bastelte mit den idyllischsten Eckchen der Gemeinde nach dem Motto: „So toll ist Wolfsburg!“, lud die Oberbürgermeisterin Familie Ivanauskas zu einer Sightseeing-Tour ein. Ein führender VW- Mitarbeiter kommentierte: „Einen wie den Ivan hätte wir damals zwangsverpflichtet.“ Halt, nein, der letzte Satz ist böswillig und frei erfunden. Dietrich zur Nedden
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen