piwik no script img

"Eine eigene Verteidigung für Europa"

■ Der CDU-Außenpolitiker Karl Lamers fordert mehr Eigenständigkeit gegenüber den USA. Er plädiert für eine europäische Ergänzung der Nato-Osterweiterung und eine europäische Fortführung des SFOR-Einsatz

taz: „Es werden drei sein, keiner mehr“, sagte die amerikanische Außenministerin Madeleine Albright vor dem Natogipfel in Madrid. Mehrere Nato-Mitglieder dagegen wollten fünf Staaten aufnehmen. Am Ende wurden es drei. Ist in der Nato das amerikanische Wort Gesetz?

Karl Lamers: Es hat verständlicherweise Verärgerung ausgelöst, daß die Amerikaner ihre Entscheidung bereits vorab öffentlich gefällt haben. Es hilft aber nichts, diesen Umstand zu beklagen, man muß das Notwendige tun, ihn zu verbessern. Die Europäer müssen endlich mit einer Stimme sprechen. Wenn sie das tun, das zeigt die Erfahrung, werden die Amerikaner auch kompromißbereit.

In Madrid haben die Europäer eher einen dissonanten Chor angestimmt.

Das ist das Problem. Ich bin nicht gerade glücklich über die amerikanischen Verhaltensweisen. Seit dem Ende des Ost-West- Konfliktes gibt es nur noch eine Supermacht, und das sind die USA. Sie sind die einzigen, die global agieren – das prägt ihr Bewußtsein. Die unilateralistische Tendenz ist noch stärker geworden. Das liegt allerdings auch daran, daß die Europäer nicht in der Lage sind, Dinge, die sie stärker betreffen als die Amerikaner, selbst in die Hand zu nehmen und zu lösen. Mir ist unverständlich, wieso die Europäer nicht die Kraft finden, endlich Konsequenzen aus dieser Situation zu ziehen. Sie könnten als einzige Kraft dem amerikanischen Unilateralismus entgegenwirken – das wird hierzulande leider meist verkannt.

Warum hat US-Präsident Clinton darauf beharrt, nur drei Länder aufzunehmen?

Man kann sagen, es sollen nur drei sein, weil die Balten um so einsamer werden, je mehr Staaten in der ersten Runde sind. Ich halte eine solche Argumentation nicht für überzeugend.

Man kann aber auch sagen, je mehr es werden, desto teurer wird es, desto schwieriger ist es, die Zustimmung des amerikanischen Kongresses zu erlangen.

Das sind nun mal die amerikanischen Interessen, so wie sie vom Parlament gesehen werden. Selbstverständlich muß man unter Partnern auf so etwas Rücksicht nehmen.

Im Gegensatz zum amerikanischen Kongreß behauptet Bundesverteidigungsminister Rühe, die Osterweiterung koste nichts.

Es war nicht richtig, daß wir die Kostenfrage als eine Quantité négligeable (zu vernachlässigende Größe; d.R.) bezeichnet haben. Gerade angesichts unserer leeren Kassen sind die Kosten natürlich eine wichtige Frage. Sie dürfen aber nicht die entscheidende sein.

Welche Ausgaben kommen auf den Bundeshaushalt zu?

Es wird soviel Geld für die Osterweiterung zur Verfügung stehen, wie die Kassen der Finanzminister der Nato-Staaten und der Beitrittsländer hergeben.

In Madrid wurden weder Teilnehmer noch Zeitpunkt der nächsten Erweiterungsrunde genannt. Droht eine sicherheitspolitische Grauzone?

Dieses Problem ist für Rumänien und Slowenien nicht akut. Beide Länder wollen mehr aus grundsätzlichen politischen Gründen in die Nato, weniger deshalb, weil ihre Integrität bedroht ist. Es wird darauf ankommen, ihnen möglichst schnell und möglichst realistisch eine Perspektive in der Europäischen Union zu bieten. Slowenien wird zur ersten Runde gehören. Rumänien muß seinen positiven Entwicklungsprozeß fortführen. Dazu muß man die Rumänen ermuntern. Man muß ihnen sagen: Die Nato kommt und die EU auch.

Und was sagen Sie den Balten? Kommt dorthin auch die Nato?

Das ist eine schwierigere Frage. In Madrid hat die Nato sie jedenfalls bejaht. Das ist das Grauzonenproblem. Objektiv betrachtet hätten die Balten als erste einen Grund, sich bedroht zu fühlen. Doch die militärische Abwehr einer möglichen Bedrohung der baltischen Integrität ist eine militärisch schwer lösbare Aufgabe.

Warum wird dann nicht reiner Wein eingeschenkt und gesagt, daß nach der ersten Aufnahmerunde für die anderen lediglich der Weg in die EU noch offen ist.

Weil das nicht stimmt; wir werden eine zweite Aufnahmerunde haben. Was jetzt aber unmittelbar getan werden muß, ist sicherlich in erster Linie eine Aufgabe der EU. Doch auch bei der Aufnahme in die EU müssen wir das Grauzonenproblem beantworten. Denn gerade, weil die Union noch nicht in der Lage ist, die territoriale Integrität der Mitgliedsstaaten zu schützen, hat sie immer darauf geachtet, daß diese Integrität nicht bedroht ist. Die EU ist eine unvollständige Union. Sie wird erst vollständig sein, wenn sie in der Lage ist, für ihre Mitglieder auch sicherheitspolitsch einzustehen.

Können die baltischen Staaten in eine solche europäische Sicherheitsstruktur einbezogen werden?

Das glaube ich schon. Die Frage ist doch, welche Funktion das Baltikum sowohl für Rußland als auch für die EU haben kann. Es kann die Funktion einer Brücke für Rußland nach Europa einnehmen. Dies müßte durch trilaterale Kooperationen deutlich gemacht werden. Solange die Nato nicht in direkter Weise für das Baltikum einsteht, kann es zudem eine Aufgabe der EU und der beiden bündnisfreien Länder Schweden und Finnland werden, sicherheitspolitisch in diesem Raum zu wirken. So könnten europäische integrierte Militärstrukturen nach dem Vorbild des Eurokorps entwickelt und die baltischen Staaten hierbei in geeigneter Form beteiligt werden.

Warum dann noch an der Nato- Osterweiterung festhalten?

Was jetzt mit der Nato-Osterweiterung geschehen ist, bedarf einer europäischen Ergänzung. Die EU muß von ihrem Anspruch her eine umfassende Solidargemeinschaft sein. Dazu gehört auch die Sicherheit. Meine langfristige Vorstellung ist, daß die Europäische Union eine eigene Verteidigung hat.

Bislang ist Frankreich der Protagonist einer eigenen europäischen Verteidigungspolitik. Es stand auf dem Madrider Gipfel in der Auseinandersetzung mit den Amerikanern ziemlich allein da.

Deutschland hat Frankreich bei seiner Forderung unterstützt, das Südkommando einem Europäer zu übertragen. Ich finde die amerikanische Weigerung in dieser Frage wenig hilfreich, zumal die Franzosen erklärt haben, daß die sechste Flotte nicht betroffen ist. Die Sache ist noch nicht entschieden. Bei der Osterweiterung kann man darüber streiten, ob wir unsere Unterstützung für die Fünferlösung hätten deutlicher machen sollen. Ein offener Krach hätte allerdings niemandem geholfen. Letztendlich ist doch mehr rausgekommen, als die Amerikaner ursprünglich zugestehen wollten.

Aber weniger, als die Franzosen erwartet haben.

Das liegt im Wesen des Kompromisses.

Ist das deutsch-französische Verhältnis gespannt?

In dieser Frage nicht.

Und wenn Sie die Auseinandersetzung um die Euro-Kriterien einbeziehen?

Die Auseinandersetzung um die Wirtschaftspolitik in der Währungsunion ist nicht neu, sie ist jetzt durch den Sieg der Sozialisten in Frankreich nur richtig zutage getreten. Wir haben unterschiedliche wirtschaftspolitische Ansätze.

Ein Unterschied, der sich in der Dezimalstelle hinter der Drei ausdrückt?

Das glaube ich nicht, Frankreich hat in den letzten Jahren enorme Stabilitätsanstrengungen unternommen. Wichtig ist, was Bundesbankpräsident Tietmeyer die Frage der Nachhaltigkeit nennt. Herr Tietmeyer hat nie dem „3,x“ das Wort geredet, sondern immer die Bedeutung einer stabilitätsorientierten Wirtschaftspolitik der Teilnehmerländer als Kriterium in den Vordergrund gerückt. Schon die alte französische Regierung hatte den Vorschlag einer Wirtschaftsregierung gemacht. Das haben wir etwas voreilig abgelehnt. Denn eigentlich ist ein Verfahren zur Koordinierung der Wirtschaftspolitik besonders nötig.

In Bayern zweifelt man am französischen Stabilitätskurs und fordert Konsequenzen. Wird Frankreich an der Währungsunion teilnehmen?

Ja, natürlich.

Im kommenden Sommer endet das SFOR-Mandat in Bosnien. Dann wollen die Amerikaner abziehen. Sind die Europäer in der Lage, deren Position einzunehmen?

Sie sind nicht in der Lage, völlig ohne die Amerikaner zu agieren. Denn sie haben sich in der Vergangenheit im Krisengebiet nicht als ausreichende Autorität erwiesen und genießen heute dementsprechend nicht den notwendigen Respekt. Zudem sind die Amerikaner in der militärischen Logistik nicht ersetzbar. Die Europäer werden also nicht ganz ohne die Amerikaner auskommen, aber sie werden einen größeren Teil der Verantwortung tragen müssen.

Rühe will einen Abzug nach dem Ende des Mandats. Ist das eine realistische Option?

Ein Rückzug aller dort stationierten Streitkräfte wäre gleichbedeutend mit einer völligen Niederlage des Dayton-Prozesses. Das wäre keine sinnvolle Politik. Deshalb bin ich zuversichtlich, daß wir auch mit den Amerikanern ein Einvernehmen über die weitere Präsenz erzielen werden. Voraussetzung ist allerdings, daß die Europäer auch hier mit einer Stimme sprechen.

Die Europäer sind schon einmal in Bosnien gescheitert. Was gibt Ihnen die Zuversicht, daß sie ihre Fehler nicht wiederholen?

Bosnien ist die Nagelprobe für eine europäische Verteidigungsidentität. Interview: Dieter Rulff

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen