: Leder, Lack und South Beach Stories
■ Kult des männlichen Popstars: Noch Gianni Versaces Tod im Ocean Drive von Miami fügt sich in eine Legende
Das Reich der Zeichen herrscht an der Oberfläche der Dinge. Das wußte Gianni Versace so gut wie Roland Barthes, und das gab ihm das Recht, die Retrospektive, die 1989 Kollektionen aus etwas mehr als zehn Jahren Designerarbeit zeigte, „L'abito per pensare“ zu nennen, Mode zum Denken.
Man mochte diesen Ausspruch als ideologische Überhöhung des Schneiderhandwerks abtun. Und doch lohnten sich die Lektüren der Zeichen auf Versaces schrillen Oberflächen. Sie waren dem Kult des männlichen Popstars verpflichtet, dem Versace wohl der erste seriöse Schneider war: auf männlichen Glamour verstand er sich wie niemand zuvor.
Doch auch hier zeigte sich, daß die Weltsicht der Mode keine ist, die den besseren Blick auf die Gesellschaft hätte. Ihr Spiel ist es, in der Sprache der Mode die Bedingungen der Mode zu verhandeln. „Comme des Lacans“ läßt sich über die theoriegeleiteten Deuter dieses geschlossenen, sich selbst regulierenden Systems der Mode trefflich spotten. Aber wo es keine herrschende Mode mehr gibt, da entsteht leicht eine neue Nachdenklichkeit, und da gibt es gerne und frühzeitig Retrospektiven. Auch das wußte Versace – noch vor Catherine David. Die Kunst hinkt doch der Mode hinterher.
Nicht ohne Grund begleitete daher eine Flut von Katalogen und Büchern Versaces Aufstieg zum Designerstar. Unter diesen Prachtbänden war auch einer mit dem Titel „South Beach Stories“. Die letzte dieser Geschichten handelt jetzt von seinem Tod vor dem schmiedeeisernen Tor seiner Art- déco-Villa am mondänen Ocean Drive von Miami.
Schock, Schlagzeilen, Trauer, Berühmtheit, Reichtum, Homosexualität, Schönheit und – nach den letzten Agenturmeldungen – der amerikanische Alptraum vom Serienkiller werden sich nun mit der Erinnerung an Gianni Versaces grelle, luxuriös überfrachtete Mode, für Frauen wie für Männer, zu einer weiteren Legende des Pop paaren. Sündhaft teuer, theatralisch, manieriert, durch und durch eklektizistisch und dazu völlig oversexed führte Versaces Mode leicht in die Irre einer sozial-ikonographischen Lesart.
Aber Gianni Versace ging es um den Körper – und über die Bedingungen der Mode hinaus um ihre technisch-handwerklichen Möglichkeiten. Seine Verwendung von Metall, Leder und Lack, die ihm seinen ersten großen Ruhm einbrachten, zersetzte sowohl die Gesinnung, die mit diesen Materialien bis dato verbunden war, wie sie dementsprechend dann auch auf modernster Ingenieurskunst basieren konnte. Wer Versaces Lederklamotten trug, war kein Fetischist, es sei denn, ein Fetischist hätte versehentlich Versace erwischt. Klagen über derlei Mißgriffe gab es Anfang der neunziger Jahre durchaus. Von Authentizität, Bekenntnis, symbolischem Sprechen war gerade bei ihm nicht die Spur. Die Dissidenz einer Mode, die mit den Geschlechtern spielt, sagt noch nichts über die tatsächliche Zersetzung gesellschaftlicher Normen aus.
Beim Defilee seiner aktuellen Winterkollektion im März dieses Jahres zeigte sich Versace beim Stil seiner Schau wie seiner Kleider gemäßigt. Die Modelle kamen wieder viel im selben schwarzen Leder daher, für das er vor zehn Jahren berühmt war. Dieses Mal führten sie jedoch eine eher damenhafte Version vor, mit langen Jacketts und kurzen Röcken, geraden Hosen und quadratisch geschnittenen Minikleidern.
„Ich gehe jetzt mehr der Realität der Dinge nach“, sagte er damals. „Es ist Zeit, in den Hintergrund zu treten und einfach Kleider zu zeigen.“ Auch das sollte man nicht allzu essentialistisch interpretieren. Es ist eine Wendung, die in der selbstreferentiellen Logik des Systems liegt. In zwei Jahren werden wir eine Renaissance des kleinformatigen Tafelbildes erleben. Mit Mustern und Karos, die Prada abgeschaut sein könnten.
Versace hat neben Giorgio Armani die italienische Mode groß gemacht und ihr Weltruf verschafft. Zuletzt überstrahlten jedoch neue Namen wie eben Prada, aber auch ältere wie Gucci, den seinen. Versace kämpfte gegen eine Krebserkrankung, die ihn zum zeitweiligen Rückzug zwang. Auf Wunsch seiner Kollegen wurde das für gestern abend geplante Abschluß-Defilee der Alta Moda auf Roms Spanischer Treppe, bei der die Rückkehr Versaces groß gefeiert werden sollte, vertagt. Brigitte Werneburg
Siehe auch Seite 16
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen