Point 'n' Click: Jeder PC ist ein Künstler!
■ Leipzigs Künstlergruppe Die Veteranen will Netz-Kreativität fördern, ihre neue CD-ROM erinnert aber eher an Gestaltungsvorschläge für Grillpartyeinladungen
Als die Leipziger „Multimedia- Band“ Die Veteranen vor zwei Jahren ihre erste CD-ROM vorstellte, war das eine Multimedia- Sensation. Bei dem damals noch recht wenig entwickelten Medium war man meist schon froh, wenn so ein Ding lief, ohne dauernd abzustürzen. Aber Die Veteranen hatten in zwei Jahren Bastelarbeit im Keller der Leipziger Kunsthochschule ein interaktives Kunstwerk programmiert, das absolut state of the art und vollgepackt mit damals brandneuen Ideen war.
Das Erstlingswerk wurde auf Festivals in der ganzen Welt gelobt und mit Multimedia-Awards beworfen, und das hatte es auch verdient.
An „Venetian Deer“, das Nachfolgeprojekt der Veteranen, das jetzt bei systhema erschienen ist, gibt es dagegen leider wenig zu loben. Das neue Werk ist eine herbe Enttäuschung. Die Veteranen haben eine CD-ROM zusammengestoppelt, die unter dem Niveau ihres Debüts liegt. Rückschritte kann man sich allerdings bei einer Multimedia-Produktion nicht erlauben, denn in diesem Bereich finden die Innovationen quasi im Monatsrhythmus statt. Und was 1995 noch neu und aufregend war, sieht 1997 plötzlich wie Pipifax aus.
Den Usern Tools zur eigenen Kunstproduktion zur Verfügung zu stellen – das ist das Programm von „Venetian Deer“. (Der seltsame Name ist übrigens ein Anagramm aus den Buchstaben des „Bandnamens“ Die Veteranen.) Neben einigen läppischen interaktiven Spielchen gibt es diverse Programme, bei denen am Rechner der Konsument zum Produzent werden soll. „click! create! communicate!“, der Untertitel der CD-ROM, ist also durchaus ernst gemeint: Jeder PC ist ein Künstler!
Wie bei der ersten Produktion gibt es auch hier wieder sich selbst malende Bilder, in deren Verfertigung der User durch Mausklick eingreifen kann. Die Dekonstruktion des Mythos vom Künstler als Originalgenie hat freilich schon Jean Tinguely mit seinen Malmaschinen betrieben. Mit den Applikationen „Sound Machine“, „Chaos“ und „The Machine and You“ kann man sich aus fertigen Soundbytes eigene Stücke zurechtsampeln, mit „Draw“ oder „Ebenen“ eigene Bilder zusammenstoppeln. Dabei wird inzwischen jeder x-beliebige Billig-Computer mit jeder Menge Software zum Malen und zum Musikmachen verkauft, ohne daß das jemand für Kunst halten würde.
Fertige „Songs“ und „Bilder“ können auf der Web-Site der Veteranen veröffentlicht werden. Daß die Simpelstgrafik- und Musikprogramme eine multimediale Volkskunstbewegung auslösen, ist allerdings eher unwahrscheinlich. Bis jetzt ist unter der URL der Veteranen nur Eigen-PR zu besichtigen.
Und das dürfte auch so bleiben, wenn es allen Usern von „Venetian Deer“ so geht wie dem Rezensenten. Dessen Rechner quittierte nämlich bei dem Versuch, eine Eigenkomposition zu speichern, den Dienst. Das ist nun wirklich ein Rückschritt im Vergleich zum Vorgänger!
Auch sonst wirkt „Venetian Deer“ reichlich schlampig: Die Grafik sieht zum Teil aus, als käme sie von einer Data-Becker- CD-ROM mit Gestaltungsvorschlägen für Grillpartyeinladungen.
Die paar interaktiven Arbeiten kommen einem seltsam bekannt vor. War da nicht einiges in ähnlicher Form auf dem Veteranen-Debüt zu sehen? Einzig eine Funktion, die Schluß mit der Zwangsinteraktivität von CD- ROMs macht, ist eine gute Idee: Wenn „Venetian Deer“ längere Zeit nicht benutzt wird, fängt das Programm einfach an, mit sich selbst zu spielen.
Als Entschädigung für das maue Produkt bleibt nur die Musik der britischen Band Stock, Hausen & Walkman, die den Soundtrack für „Venetian Deer“ komponiert hat. Der Bandname ist ziemlich genial, und die zwölf Stücke, die man auch mit einem normalen CD-Player abspielen kann, klingen, als hätte jemand Easy-Listening-Stücke mit der Motorsäge bearbeitet. Tilman Baumgärtel
Die Veteranen / Stock, Hausen & Walkman: „Venetian Deer – click! create! communicate!“ CD-ROM für Macintosh oder Windows-PC mit 8 MB oder höher, systhema Verlag, 49 DM, URL: www.systhema.de/veteranen
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