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Hamburg soll sauber werden

Die Sozialdemokraten setzen im Wahlkampf auf verstärkte Sicherheit. Bei Teilen der Bündnisgrünen wird diese Gangart skeptisch betrachtet  ■ Von Silke Mertins

Hamburg Hauptbahnhof, bitte aussteigen.“ Kaum den Fuß auf den Bahnsteig gesetzt, lacht dem Reisenden schon die grellbunte SPD-Wahlwerbung entgegen: „Law and order is a Labour issue“, zitieren die für die Bürgerschaftswahlkampf im September mit Recht und Ordnung aufrüstenden Sozialdemokraten den britischen Labour-Strahlemann Tony Blair. Auf dem Weg zum Taxi, nur wenige Meter weiter beim Ausgang Kirchenallee, preisen Verkäufer nicht gerade im Flüsterton ihre Drogenangebote an. Mehrere Dutzend Junkies und Dealer haben hier, direkt vor dem Bahnhof, ihren Standort.

Als einzige deutsche Großstadt toleriert Hamburg, allen „Handlungskonzepten“ und Platzverweisen zum Trotz, eine offene Drogenszene. Noch. Bürgermeister Henning Voscherau (SPD) bekannte sich schon auf dem SPD- Programm-Parteitag im Mai zu einer härteren Gangart gegenüber Kriminellen, vorzugsweise ausländischen. Die dürften nicht länger deutsche Knäste „verstopfen“, sondern gehörten abgeschoben. Die „Schönwettergesetze“ reichten nicht mehr aus, schärfere müßten her. „Raus, und zwar schnell“, zog der der Möchtegern-Kanzlkerkandidat der SPD, Gerhard Schröder, nun am vergangenen Wochenende nach.

Beide haben ihr politisches Herz in der von der Polizei aufgeräumten Metropole New York verloren: null Toleranz gegenüber Kriminalität. Voscherau erhob die Law-and-order-Zauberformel gar zum „Knackpunkt“ künftiger Koalitionsverhandlungen. Und sagte damit auch der Grün-Alternativen Liste (GAL) unter Führung der prominenten Grünen Krista Sager den Kampf an. Seitdem herrscht Unruhe im GALischen Wahlkampflager. Die Frage nach der „Begrünbarkeit“ der Inneren Sicherheit treibt die ParteistrategInnen um. „Ich hätte nichts dagegen, die Situation am Hauptbahnhof abzustellen“, formulierte Spitzenfrau Sager zunächst vorsichtig. Die Bekämpfung der Ursachen und das politische Ziel, nämlich die Legalisierung von Heroin – die auch Voscherau will –, dürften aber nicht ins Hintertreffen geraten.

„Sicherheitskonferenzen“ nach dem Potsdamer Modell sollen für eine Befriedung der Stadtteile sorgen. Mit welchem Ziel? Auflösung der offenen Drogenszene wie im rot-grünen Frankfurt? Duldung, bis die Legalisierung kommt? „Wir sind eine liberale Partei, wir halten nicht so schrecklich viel von Repression“, sagt Fraktionschef und Sager-Intimus Willfried Maier. Die Versuche einer grünen Positionierung in der „Law-and-order- Olympiade“ (Sager-Kritikerin Anna Bruns) fielen bisher ähnlich kläglich aus. Grüne „Defizite“ gebe es in Sachen Kriminalitätsbekämpfung, gab Sager nun anläßlich des Schröder-Lockrufes nach mehr Recht und Ordnung zu. Und: „Es gibt Zuwächse bei der organisisierten Kriminalität aus Osteuropa und bei der Gewalt von Jugendlichen. Im Bereich Rauschgift und Straßenraub sind ausländische Jugendliche überproportional vertreten. Das kann man nicht wegdiskutieren.“

„Da bleibt mir die Spucke weg“, reagiert Norbert Hackbusch, einer der Wortführer der Hamburger GAL-Linken. „Wer will denn hier etwas wegdiskutieren?“ Sager „paßt sich an“ und wolle sich offenbar „die Koalitionsfähigkeit offenhalten“. Unisono mit dem grünen Bundesparteichef Jürgen Trittin sagen Hamburgs Parteilinke: nicht mit uns. „Politik als Stimmungsmache und mit Ausländern als Sündenböcken wird es mit uns nicht geben“, so Anna Bruns. Mit „diesem Nährboden wollen wir nichts zu tun haben“, setzt auch Hackbusch Grenzen für Rot-Grün. Im Hinterkopf sitzt nach wie vor der „Hamburger Polizeiskandal: Nicht Frauenhändler oder Gangsterbosse wurden von Polizisten scheinhingerichtet und zusammengeschlagen, sondern schwarze Straßendealer, die als letztes Glied in der Kette der organisierten Kriminalität die Drogen an Süchtige verticken. Während sozialdemokratische Ideen zur städtischen Sicherheit aber immer abenteuerlicher werden – sie reichen von einer bettlerfreien Innenstadt bis zur Verpachtung der Bürgersteige an Ladenbesitzer –, rückt das liberale Schanzenviertel, Wohnsitz von Alternativen und Autonomen, auch den grünen PolitikerInnen zu Leibe. Sie wollen ihren Sternschanzenpark von der Drogenszene zurückerobern. Auch afrikanische Anwohner fordern: „Dealer raus.“ Eine Verdrängung der Szene „löst kein einziges Problem“, sagt der grüne Hackbusch, der selbst dort wohnt und sich seit langem um eine Entspannung bemüht. „Der Markt ist da – das ist das Drama.“

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