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Taktisches Spiel vor den Wahlen

Mit einem geänderten Wahlrecht wollen die regierenden Sozialisten in Serbien ihre Chancen für die Wahlen verbessern. Die Opposition schwankt zwischen Boykott und Protest  ■ Aus Belgrad Andrej Ivanji

Wieder einmal ist Slobodan Milošević seinen Gegnern einen Schritt voraus: Bis zum Ende des Jahres sollen in Serbien Parlaments- und Präsidentschaftswahlen stattfinden. Aber weder die Kandidaten sind bekannt noch der Termin, an dem gewählt werden soll. Böse Zungen behaupten, das gehöre zur Taktik der in Serbien alleinherrschenden Sozialistischen Partei, dirigiert von Serbiens Expräsident Milošević. Erst im letzten Augenblick will er alle Einzelheiten bekanntgeben und so seinen Sozialisten einen entscheidenden Vorteil sichern.

In der vergangenen Woche ließ sich Milošević auf die Schnelle vom Bundesparlament zum Präsidenten Jugoslawiens wählen und schaut nun herab auf das Wahlchaos in seinem Staat. Auch in Montenegro soll planmäßig ein neuer Präsident gewählt werden, der Machtkampf innerhalb der Regierungspartei könnte jedoch zu vorzeitigen Parlamentswahlen führen. Alle diese Wahlen verknüpfen sich auf der Bundesebene, ihr Ausgang könnte im nachhinein auch die neue Machtposition Milošević' bedrohen.

Kaum hat sich Serbien von den Kommunalwahlen und monatelangen Massendemonstrationen erholt, stellt die serbische Opposition angesichts der Parlamentswahlen bereits neue Massenproteste in Aussicht. Gestützt auf die absolute Mehrheit im serbischen Parlament, erhöhte die Sozialistische Partei Serbiens die Zahl der Wahlkreise von 9 auf 29. Proteste der Opposition, die zum Gesetz über 1.700 Zusatzanträge einbrachten, halfen nicht. Der Tenor ihrer Einsprüche, die Sozialisten wollten sich die Wahleinheiten nach ihrem Maß zurechtschneiden und sich so den Sieg noch vor den Wahlen sichern, wurde abgeschmettert.

Zwölf serbische Oppositionsparteien haben mittlerweile eine verpflichtende Vereinbarung unterzeichnet, die Wahlen unter solchen Bedingungen nicht nur zu boykottieren, sondern auch „aktiv zu verhindern“ sowie die Bevölkerung wieder zu Massendemonstrationen aufzurufen. Außerdem fordert die Opposition eine faire Berichterstattung der staatlichen Medien, die jetzt nur als „Propagandamaschinerie“ der regierenden Sozialisten agieren. Sie erinnert daran, daß auch die OSZE-Kommission unter Federführung von Felipe González von Slobodan Milošević die sofortige „Demokratisierung der Medien“ als eine der Voraussetzungen für die Aufhebung der Sanktionen gegen Serbien gefordert hatte. In der vergangenen Woche jedoch verfügte die Bundespolizei die Schließung mehrerer lokaler Radio- und Fernsehsender mit der Begründung, sie hätten keine Lizenz.

„Milošević führt die OSZE an der Nase herum“, erklärte diesbezüglich der Informationsdienst der serbischen Erneuerungsbewegung (SPO).

Das alles würde dem Belgrader Regime weit größeres Kopfzerbrechen bereiten, wenn die serbische Opposition nicht zerstritten wäre. Die Leader der drei stärksten Oppositionsparteien, die noch im Februar umarmt die protestierenden Bürgerkolonnen durch die Straßen Belgrads anführten, wollen nicht einmal mehr einen Kaffee zusammen trinken.

Der bärtige Vuk Drašković, Präsident der SPO, ist ganz und gar dem Thronprätendenten Aleksandar Karadjordjević, der in London als Versicherungsagent lebt, ergeben. Er will eine parlamentarische Monarchie in Serbien einführen und feiert die Tschetnikbewegung aus dem Zweiten Weltkrieg als Vorbild. Es ist noch nicht einmal sicher, ob sich die SPO einem Wahlboykott anschließen oder den Wirrwarr eher zum eigenen Vorteil nutzen würde.

Zoran Djindjić, Präsident der Demokratischen Partei und Bürgermeister Belgrads, läßt sich momentan nicht auf nationalistische Spielchen ein, pocht auf bürgerliche Demokratie und eine breite Front aller Oppositionsparteien. Abgeschlagen und resigniert wirkt die früher „Dritte im Bunde“, Vesna Pešić, Vorsitzende des Bürgerbundes, obwohl sie für den Friedensnobelpreis nominiert ist. Passiv die Wahlen zu boykottieren, würde der bürgerlichen Opposition kaum etwas bringen. Die Beteiligung der linken Koalition (Sozialisten und Vereinigte Jugoslawische Linke, angeführt von Miloševićs Gattin Mirjana Marković) und der extrem nationalistischen Radikalen von Vojislav Šešlj, der unberechenbaren Partei „Neue Demokratie“ sowie ungarischer Parteien, denen die größere Zahl von Wahlkreisen fast automatisch sechs bis sieben anstatt der bisherigen zwei Mandate bringt, würde die Wahlen glaubwürdig erscheinen lassen. Und der „Linken“ würde der Wahlsieg sozusagen auf dem Silbertablett serviert.

Die westlichen Regierungen und Medien scheinen sich nicht bewußt zu sein, wie wichtig ihre Rolle für die Entwicklung in Jugoslawien sein kann – aber nur wenn sie rechtzeitig Stellung beziehen. Wer über Serbien schweigt, unterstützt den Status quo. Die Wahlen in Serbien und Montenegro sind auch für die Entwicklung in Bosnien und die Stabilität auf dem Balkan weitaus wichtiger als Spazierfahrten von SFOR-Panzern in Pale.

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