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■ Der Zwischenruf: Unverkrampfte Soldaten„Ein deutscher Deich“

Wenn es noch eines Beweises bedurft hätte, das Zusammenwachsen unserer Nation zu belegen, man hätte sich die Hochwasserbedrohung des Oderbruchs wünschen müssen. Mag es auch angesichts der nach wie vor dramatischen Lage im östlichen Teil unseres Landes zunächst zynisch erscheinen, ausgerechnet eine Katastrophe als identitätsstiftende Ursache, als Beleg für den endgültigen Untergang des alten Denkens zu begehren, so widerlegt doch die Realität außerordentlich eindrucksvoll die scheinbare Absurdität dieser Hypothese.

Verstehen Sie mich nicht falsch: Niemand, schon gar nicht ich, wünscht Menschen in unverschuldete Not, um – und lassen Sie mich an dieser Stelle ganz bewußt ein zu oft mißbrauchtes Wort aussprechen – verschüttet gewähntes „patriotisches“ Bewußtsein freizulegen.

Wer aber den unermüdlichen, selbstlosen Einsatz unserer Bundeswehrsoldaten zur Verteidigung des Oderbruchdeichs erlebt hat, muß, denkt er über den Tag hinaus, diese Leistung als historischen Wendepunkt in der Geschichte unserer gesamtdeutschen Republik begreifen.

Schulter an Schulter standen und stehen dort junge Deutsche aus allen Teilen unserer Vaterlandes, um ein gemeinsames Ziel zu verfolgen. Ungeachtet ihrer Herkunft tragen Westfalen Seite an Seite mit Sachsen, Bayern mit Thüringern, Schwaben mit Mecklenburgern bis zur völligen Erschöpfung Sandsack um Sandsack auf gefährdete Deiche, stopfen Löcher, dichten Risse. Risse, die sich noch bis vor kurzem wie blutende Wunden durch unsere Nation zogen und die von ewiggestrigen Nörglern nur allzugern immer dann wieder aufgekratzt wurden, wenn sie sich gerade zu schließen begannen.

Fragt man diese jungen Soldaten danach, ob sie nur einen Augenblick gezweifelt haben, ihr Tun als Selbstverständlichkeit zu begreifen, schaut man in ungläubige, verständnislose Gesichter. Gesichter, die gezeichnet sind von pausenlosem Einsatz an der Front, in denen aber unter der Maske der Müdigkeit immer wieder ehrlicher, einfacher Stolz aufscheint. Stolz auf das Erreichte und Glück über ein gemeinschaftlich getanes Werk, das nicht danach fragt, woher derjenige stammt, der es vollbracht hat. Ja, es ist ein wirklich gesamtdeutsches Werk, das von jungen Menschen vollendet wurde, die ganz selbstverständlich eine Haltung verkörpern, die unser Bundespräsident Dr. Herzog der zerrissenen Nation schon bei seinem Amtsantritt empfohlen hat: „Unverkrampftheit“.

Und wenn wir immer wie einsame Rufer in der Wüste gefordert haben, daß die Mauer in den Köpfen eingerissen gehöre, dann können wir jetzt sehen, daß unser Appell Früchte getragen hat. In den Köpfen dieser Soldaten, die von pathologischen Schwätzern immer noch ungestraft als „Mörder“ diffamiert werden dürfen, existiert keine Mauer mehr. Sie können als Vorbild für uns alle dienen. Sie haben etwas Neues geschaffen: einen gesamtdeutschen Deich. Dafür gebührt ihnen unser aller Dank! Fritz Eckenga

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