piwik no script img

Sauber, sauber!

Der neue Bußgeldkatalog für ein sauberes Berlin ist kaum beschlossen, schon ist die Polizei in Kreuzberg voll an der Front. Ein unfreiwilliger Praxistest  ■ von Vera Gaserow

Nicht, daß man auf diese Nachricht schon immer gewartet hätte. Es gibt Wichtigeres auf der Welt. Aber recht geschieht es schon den Dreckflegeln, die überall ihren Müll hinschmeißen, daß sie nun härter zur Kasse gebeten werden. Wohl an, am Tag der Bekanntgabe der neuen Müll-Bußgelder frisch, aber unfreiwillig den Vollzug getestet: Kreuzberg, im schönsten 61. Ein Vater radelt bei Rot über die belebte Kreuzung. Sohnemann, gerade mal der Ära der Stützräder entwachsen, strampelt hinterher: „Papa, war aber rot!“ „Macht nix, Radfahrer brauchen nicht anzuhalten“, tönt Papa und katapultiert in voller Fahrt seine leere Bierdose auf den Bürgersteig.

Macht nach den neuen Bußgeldvorschriften 80?, 100?, 200 Mark? Egal. Wenigstens eine Ermahnung soll er kriegen von der Vorbeiradelnden: „Ist aber nicht gerade vorbildlich, was Sie Ihrem Sohn da beibringen.“ „Alte Fotze, durchficken sollte man dich“, grölt Papa und sprintet der Radlerin hinterher, „du mit deinen Titten, bist ja blöder, als die Polizei erlaubt!“

Polizei – kein schlechtes Stichwort. Wenn jetzt eine grüne Uniform in Sicht wäre, sie würde dem Kerl eine Anzeige verpassen – nicht wegen der Bierdose, sondern wegen sexistischer Beleidigung und Gefährdung seines Kindes. Ist aber kein Polizist da und Papa, wieder bei Rot, mit Sohnemann längst über die sechsspurige Hasenheide.

Unten im U-Bahnhof Südstern stößt sie dann unverhofft auf zwei Polizisten, bereits voll an der Front für ein sauberes Berlin. Sie haben einen anderen Bierdosenhalter am Wickel, Otto Normalberliner, bis zum Debilitätsanschlag alkoholisiert. „Muß auf Toilette!“ greint der Kerl. „Gibt's hier nicht“, meint die uniformierte Staatsmacht. Die nächste öffentliche Toilette ist ein paar Stufen hoch, dreißig Schritte entfernt. „Muß aber pullern!“ Das junge Gesicht unter der grünen Uniformmütze grinst kopfschüttelnd zurück. „Is nich.“ „Dann piss' ich eben hierhin!“ sagt der Bierdosenhalter und macht seine Drohung auf dem Bahnsteig wahr.

Die beiden Polizisten lächeln peinlich berührt und starren wortlos auf die Pfütze, die vor ihren Füßen zum See anschwillt, punktgenau an der Treppe zum U-Bahn- Ausgang. Die Fahrgäste auf dem Bahnsteig blicken angewidert weg.

Manchmal, ist ja nur so ein Gedanke, wünscht man sich, daß Männerpimmel Farbdosen wären. Dann hätten die Polizisten den Pisser geschnappt, ihn als Graffiti- Sprayer hopsgenommen und vielleicht noch seine Wohnung durchsucht. Aber der Kerl ist kein Sprayer, sondern Inhaber eines männlichen Geschlechtsorgans. Und so schieben die Polizisten den Typen, er hat inzwischen fertig gepinkelt, mit seiner eingepißten Hose und seinen quitsch-quatsch-urindurchtränkten Schuhen in das nächste U-Bahn-Abteil. Fürsorglich schließt die Staatsmacht noch die Türen hinter ihm und macht sich eiligst über den Bahnsteig davon. Sauber! Was wohl der oberste Dienstherr dazu sagt?

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen