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Dorothys Freunde lieben das

Jenseits jeglicher ästhetischen Kategorien: Der legendäre „Wizard of Oz“ wird nun auch in Berlin vermarktet – in den USA organisieren Fanclubs schon seit Jahren „Oz-Conventions“  ■ Von Axel Schock

Batman & Robin verstopfen momentan nicht nur die großen Kinosäle in der Stadt, auch im Warner Bros. Studio Store am Tauentzien ist die Fledermaus unübersehbar und geistert aufdringlich durch die komplette Palette des Merchandising. Doch zwischen all dem Krimskrams mit Cartoon-Motiven glänzen – schamhaft versteckt zwischen Bugs-Bunny-T-Shirts und Badetüchern – einige Produkte, die das Fanherz wirklich höher schlagen lassen. Nicht muskelbepackte Supermänner und quiekende Zeichentrickfiguren sind hier die Helden, sondern ein Löwe, eine Blechfigur, eine Vogelscheuche und ein bezopftes, artiges Mädchen. Der fast 60 Jahre alte „Wizard of Oz“ hält nun auch Einzug in die Nippeskultur. Aber wie es sich für einen Film gehört, dem die Begriffe „Kult“ und „Meilenstein der Filmgeschichte“ ohne Zweifel zustehen, der zwischen Kitsch, Camp und wunderbarer Märchenwelt nicht eindeutig einzuordnen ist, hält man sich nicht lange mit gewöhnlichen Fanartikeln auf. Natürlich gibt es auch Kugelschreiber und Tagebücher mit Oz-Motiven, T-Shirts und Base-Caps. Aber wären Batman & Robin als Keramikkeksdosen denkbar? Als Salz- und Pfefferstreuer? Solch geniale Geschmacklosigkeiten funktionieren nur bei Filmen, die selbst schon jenseits ästhetischer Kategorisierung stehen.

Denn „The Wizard of Oz“, bei dem seinerzeit nicht weniger als zehn Drehbuchautoren und vier Regisseure verschlissen wurden, ist ein Inferno an Effekt-Schnickschnack und grell-phantasievoller Ausstattung. Technicolor zeigt, daß es tatsächlich noch eine Steigerung zu knallbunt geben kann; sämtliche in den USA verfügbaren Liliputaner tanzen als Zwerge durchs kitschig ausstaffierte Filmstudio. Die damals 16jährige Judy Garland mit spätpubertärem Körperbau singt immer wieder „Somewhere over the Rainbow“ und schenkte nicht nur der Rainbow- Generation der Neunziger eine unvergleichliche Hymne, mit der sich Marusha per Techno-Version auch noch eine goldene Nase verdiente. Und dabei sollte gerade dieses Lied nach ersten Previews 1939 wieder herausfallen. Die spätere Schwulenikone Judy Garland stöckelt arglos und mutig als Klein Dorothy mit ihren knallroten Pumps durch das Reich des Zauberers Oz, begleitet von einem tumben Blechmann, einer Vogelscheuche in der Mauser und einem tuntigen, ängstlichen Löwen („Yeah, it's sad, believe me, missy / When you're born to be a sissy... I'm afraid there's no denying / I'm just a dandy lion“).

„Wizard of Oz“ ist Camp und Trash pur, voll mit starken Frauen und schwachen Kerlen, Schlumpfhausen, mythologisch unterfüttert und wie auf LSD gefilmt. Für Derek Jarman war das Musical einer jener Filme, die ihn am meisten geprägt haben. Und den Schwulen in den USA liefert das Märchenmusical jede Menge Textzitate, die längst in den Insider-Sprachschatz eingegangen sind. Mit Dorothys erstaunter Feststellung „I think we aren't in Kansas anymore“ gibt die Tunte von Welt ihrer Verwunderung Ausdruck. Und auf die mit vorgehaltener Hand gestellte Frage „Are you a friend of Dorothy?“ erhofft man sich in diesem Falle die Antwort: „Yes, I'm gay!“

Den Kult um den Zauberer von Oz pflegen in den USA allerdings längst nicht allein die Schwulen. Dank der zahllosen TV-Wiederholungen gibt es keinen anderen Film, der bislang mehr Zuschauer gehabt hätte, inklusive „Vom Winde verweht“. Eine ganze Reihe von Fanclubs – der älteste existiert seit 1957 und hat mehrere tausend Mitglieder – organisiert mehrmals im Jahr große „Conventions“. Zum letzten Ereignis im Juli in Pacific Grove, California, konnte man gar als Ehrengast Jerry Maren begrüßen, den wohl letzten lebenden Darsteller des Films. 1939 tanzte er als Lollipop- Garde durchs MGM-Studio. Währenddessen wird auf über 7.000 Web-Seiten im Internet über Wesen und Werk L. Frank Baums diskutiert und der hundertste Geburtstag seiner Romanvorlage im Jahre 2000 vorbereitet. Andere streiten sich über die „Sexual Politics in The Wizard of Oz“ und ob denn die roten Schuhe von Dorothy ihre erste Menstruation, die kindliche Unschuld oder das sexuelle Erwachen symbolisieren.

Und ansonsten werden Devotionalien verscherbelt, daß der wahre Sammler dafür mindestens ein eigenes Zimmer bereitstellen müßte. Was jetzt als kleiner Ausschnitt davon im Warner Bros. Studio Store bis zu uns vorgedrungen ist, erscheint spärlich im Vergleich zum märchenhaften Universum dessen, was in den weiten Welten des zauberhaften Landes sich in den USA auf Verkaufstresen und in Versandshops tummelt. Immerhin: Am Tauentzien darf man für 33 Mark eine Fußmatte sein eigen nennen. „Ding Dong“ steht drauf, und der Fan vervollständigt die Verszeile „The witch is dead“, und die Beine der wegkippenden Hexe sind auch noch auf dem Fußabtreter verewigt. Für ganz Garstige gibt's die Hexenkerze, die man am Hutzipfel anzünden kann und die nun ganz zu Recht ihren Schreckensruf „I'm melting!“ ausstoßen kann. So macht man im Märchenfilm wie im richtigen Leben den Bösen den Garaus.

The International Wizard of Oz Club, P.O. Box 266, Kalamazoo, Michigan 49004-0266, USA; E- Mail: info6ozclub.org

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