Wand und Boden: Canaletto des Post-Pop
■ Kunst in Berlin jetzt: Wilder, Merkel, Quandt
Chris Wilder ist ein echter space cadet, also jemand, der nicht alle Tassen im Schrank hat. Das jedenfalls behauptet das der Kalifornier selbst, der seine Geburt im Jahr 1957 tatsächlich in den outer space verlegt. Bei seiner Rückkehr nach La La Sunshine land brachte das gewisse Probleme mit sich: „Es ist 1966, Jimi Hendrix spielt im Golden Bear Theater in Huntington Beach und ich bin ein zehn Jahre altes Drogenopfer“, berichtet Wilder in der chronologischen Aufzeichnung seiner Künstlerwerdung, die auf zehn Texttafeln unter dem Titel „Land of No Return“ an einer Wand der Drogenhaus Projekte Berlin installiert ist. Seiner Biographie – vom Drogenopfer zum Surfer zum Künstler – ist eine absolut glaubwürdige Zwangsläufigkeit eigen. Kurz, Wilder überzeugt. Mit seiner kompakten Mixed Media Installation, die ein 90minütiges Video von Malibu Beach beinhaltet, aufgebaut über deutschem, romantischem Ostseesand, abgetrennt von übrigen Galerieraum durch einen Vorhang aus der Plastikhalterung einiger Sixpacks. Daneben hängen fünf fotografische Beweise, die er seinem „Blue Project Book“ entnommen hat. Das Buch ist sein Reprint der 1969 von der US-amerikanischen Army publizierten UFO-Sichtungen. In den bunten Kreisen, Blasen und Ringen auf sechs abstrakten Tafelbildern dreht Wilder die Windung seines kalifornischen Traumas vom außerirdischen, angetörnten Surfer, der ganz offenkundig zum Künstler wurde, noch ein Stück höher.
Bis 30.8., Mi.–Fr. 14–19, Sa. 12–17 Uhr, Auguststraße 63
Ein bißchen außerirdisch, in zuckerbunte Umrißblasen gesteckt, kommt auch „Jugend und Technik“ von Florian Merkel in der Galerie Wohnmaschine daher. Auf zehn Tafeln setzt der 36jährige Künstler damit seine Arbeit mit inszenierten Fotografien historischer Motive fort. Auch wenn auf den ersten Blick von Fotos nicht die Rede sein kann. In Berlin durchaus naheliegend, erforscht Merkel jetzt den glückversprechenden Städtebau. Inmitten der schlanken, hochgewachsenen Sixties wie in den raumfüllenden Neunzigern tummeln sich seine Paare, Passanten. Er ist nachdenklich, sie beschäftigt. Er sitzt gerne auf Parkbänken, sie trägt einen Blumenstrauß, studiert Autokarten, hantiert auf der Baustelle des Potsdamer Platzes mit dem Laptop oder schleckt vor dem Planetarium in der Prenzlauer Allee Eis. All diese Szenen sind in pastellbunten Umrißlinien auf die weißgrundierte Leinwand gemalt. Die fotografische Vorlage erkennt man anhand der spezifischen Camera-obscura-Perspektive des Bildaufbaus. Indem er die fotografische Analogie ins Medium der Malerei transportiert, reagiert Merkel nun nicht mehr auf die Fotografie selbst, sondern auf deren digitale Revolution und Bildmanipulation. Merkel ist Berlins Canaletto des Post Pop.
Bis 31.8., Di.–Fr. 14–19, Sa. 12–17 Uhr, Tucholskystraße 36
„Warum träumt man von roten Wendeltreppen und läuft nicht in Pantoffelschnecken“, fragt Barbara Quandt in der Galerie Michael Schultz. Neuerdings ist es die Botanik und die Zoologie, die vom Rand her in ihre Gemälde dringt. In den achtziger Jahren operierte Barbara Quandt mit forschem Charme erfolgreich bei den Berliner Wilden. Jetzt ist sie ganz bildlich auf den Hund gekommen. Und so porträtiert Quandt den proletarischen Schick des Bullterriers ebenso treffend in „Der Kleine Racker“, wie den veralteten Schick des Pudels in „Setz dir Perücken auf von Millionen Locken“. Die Titel klingen nicht von ungefähr zitathaft verspielt, poetisch erzählend und dekorativ. Derart sind auch ihre Bilder, die in ihrer Umrandung gerne noch eine zweite Geschichte ins Spiel bringen. Dann steckt auch einige Ironie in den kleinen Kachelbordüren, die Mondrian gewissermaßen ins Badezimmer holen.
Bis 9.9., Di.–Fr. 14–19, Sa. 10–14 Uhr, Mommsenstraße 32 Brigitte Werneburg
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