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Wohnen mit dem Rechner

In Marzahn steht ein Niedrigenergiehaus kurz vor der Vollendung. Es unterschreitet die Vorgaben der Wärmeschutzverordnung um 36 Prozent  ■ Von Matthias Fink

Zwischen den rechtwinkligen Plattenbauten des Modells WBS 70 steht ein fast fertiges Gebäude in der Marzahner Flämingstraße: Rundlich und gläsern fällt es aus dem Rahmen. Doch die Fassade ist nicht aus Daffke so gebaut, sondern aus ökologischem Kalkül. Die Rundung der Wand mit den vielen Fenstern ermöglicht es, die Sonne besser auszunutzen als in gewöhnlichen Häusern. Dank dieser Konstruktion sollen die Bewohner, die Ende dieses Jahres in die 56 Wohnungen einziehen werden, ein Minimum an elektrischem Licht und Heizenergie verbrauchen.

Bei klassischen, rechtwinkligen Häusern sind die Räume in Südlage zwar heiß begehrt, aber teuer erkauft. Die anderen Räume liegen dann in schattigen Himmelsrichtungen. Im Niedrigenergiehaus gibt es hingegen möglichst viele Räume, die in diesen Richtungen ihre Fenster haben – daher die gebogene Fassade.

Durch einen zusätzlichen Kniff haben die Architekten Assmann, Salomon und Scheidt diesen Effekt noch gesteigert. Die einzelnen Räume sind durch Türen verbunden, die nahe der Fensterwand liegen. Dadurch scheint die helle Sonne von einem Zimmer ins andere, wie man es aus holländischen Gemälden oder französischen Filmen kennt. Um die natürliche Zufuhr von Wärme und Licht optimal auszunutzen, sollen sich die Mieter bevorzugt auf der Sonnenseite aufhalten. Wohn- und Kinderzimmer sind deshalb hier untergebracht, dazwischen – also von beiden Seiten lichtdurchflutet – die Küchen.

Badezimmer liegen im Innern des Hauses, weil man sich dort ja nur selten aufhält. Auf der kälteren Nordseite hat das Architekturbüro vor allem die Treppenhäuser untergebracht. Parallel zur Fassade verlaufen sie so, daß möglichst wenig von dem wärmeren Raum im Hausinneren verbaut werden mußte. Und weil Treppenhaus und Etagenflure sich an der Hauswand entlang erstrecken, braucht man auch kein großes Fenster, es reichen mehrere kleine. Die halten mehr Wärme.

Die Vorgaben der Wärmeschutzverordnung, 1994 verschärft, sollten um 20 Prozent unterboten werden, berichtet Erika Kröber, Pressesprecherin der Wohnungsbaugesellschaft Marzahn (WBG), die das Haus gebaut hat. Dieser Plan wurde übererfüllt, denn „wir liegen um 36 Prozent unter den Grenzwerten“. Jetzt kommt es aber darauf an, daß die Mieter mitspielen. Bewußte Dosierung ist nicht nur bei der Sonne gefragt, sondern auch beim Wind. Hier gibt es Schlitze in den Fenstern, die sich regulieren lassen. Je nachdem, wie kalt es ist, soll man sie mehr oder weniger weit öffnen. Um den nötigen Luftzug zu verstärken, öffnet man bei Familie Energiesparer nicht das Fenster, sondern knipst im Bad das Licht an. Dann springt dort der Ventilator, der sich immer dreht, auf Stufe zwei. Sein Sog reicht bis an die Wohnzimmerfenster – im Regelfall. Oder hat etwa jemand seinen Morgenmantel an der Badezimmertür aufgehängt und damit den Luftschlitz blockiert? Wurde gar ein Poster drübergeklebt? Das sollte natürlich nicht passieren. „Man muß sich auf das Haus einlassen“, erklärt Kröber. „Wir werden mit den Mietern eine Sitzung machen. Da zeigen wir ihnen Einrichtungsbeispiele, wie man die Lüftung idealerweise einrichtet.“ Auch bei der Auswahl der neuen Bewohner (aktueller Stand: 100 Bewerbungen) wird die WBG ein Auge darauf haben, daß nicht gerade Ökosünder einziehen. An spezielle vertragliche Pflichten sei indessen – „um Gottes Willen“ – nicht gedacht. Wenn sich Bewohner um die Energieeinsparung keinen Deut scheren, werden sie schon merken, was alles für Kosten zu der verlockenden Kaltmiete von neun Mark pro Quadratmeter dazukommen. „Das hat zur Folge, daß sie bei den Betriebskosten höher liegen“, erwartet Kröber.

Kleine Sünden bestraft der liebe Gott sofort. Kleine Ökosünden hingegen werden automatisch unterbunden. Dazu hat die Wilmersdorfer Firma Arup Baubüro im Keller des Niedrigenergiehauses einen Zentralrechner eingebaut. Wenn man das Fenster aufmacht, geht im betreffenden Zimmer die Heizung aus. Der Rechner hält auch fest, wann und wie lange welches Fenster im Haus offengestanden hat. Was aktuell los ist, wie kalt es drinnen oder draußen ist, erfahren die MieterInnen auf einem Display in ihrer Wohnung. Trendmeldungen sind auch im Programm. „Man sieht gegenüber dem Vormonat, ob man mehr oder weniger verbraucht hat“, erklärt Stefan Schulz, bei Arup als Projektleiter für das Marzahner Haus zuständig. 1,3 Millionen Mark hat die gesamte Meßtechnik gekostet, bei 17 Millionen für das ganze Haus – inklusive Grunderwerb – also ein erklecklicher Batzen, den die Senatsverwaltung für Bauen und Wohnen zugeschossen hat. Das Haus soll schließlich Vorbildwirkung entfalten. Bisher gibt es vor allem Einfamilienhäuser à la Niedrigenergie, berichtet Erika Kröber. „Ein derart hochgeschossiges Haus“ in dieser Bauweise sei ein Novum.

Und wie es sich bei einem Modellprojekt gehört, sind auch weitere neuartige Gestaltungsformen in Gebrauch. Das Kreuzberger Landschaftsarchitekturbüro Kiefer hat eine Kombination aus Parkplatz und Spielplatz entwickelt. „Wenn man sich tagsüber in Marzahn umschaut, sieht man dort kaum Autos, weil die Leute alle damit unterwegs sind“, erklärt Gabriele Kiefer. Nun möchte ihr Büro dazu beitragen, „daß sich tagsüber Kinder die Fläche aneignen können“. Statt eiserner Sperrbügel vor den Parkflächen gibt es deshalb nur aufgemalte Begrenzungen. Gleichzeitig sind Spielflächen für Kinder aufgemalt. Wie beim Mehrfachspielfeld in einer Sporthalle überdecken sich die verschiedenen Markierungen. Und wenn Kinder und Autos gleichzeitig da sind? „Der Konflikt, der sowieso da ist, wird hier ein Stück sichtbarer“, so Kiefer. Ein richtiger Spielplatz, von Amts wegen gefordert, ist das sowieso nicht, der entsteht schließlich auf der sonnigen Südseite des Hauses.

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