piwik no script img

■ Wer bietet was – und mehr – auf der Kölner PopKomm?Feuchter Parcours

Eine Sensation ist die sorgsam geschnitzte Rohkost, die die Plattenfirma V 2 anbietet. Wenn man Rohkost ißt, glaubt man nämlich kurz (knack!), man esse (und lebe) gesund. Wobei das Gegenteil der Fall ist – denn natürlich bietet die Firma V 2 im normalen Leben Musik an, nur auf der Musikmesse PopKomm eben auch noch Rohkost. Doch Menschen, die mit Musik zu tun haben (selbst welche machen, sie vermarkten, entdecken, bewerten, auch gern machen würden usw.), ernähren sich im Regelfall gar nicht von Rohkost. Und deshalb ist V 2 in aller Munde. Ebenfalls beliebt ist der Stand von Spiegel Extra. Dort gibt es natürlich nicht Stefan Austern, sondern sehr leckere Sandwichburger. Eine lange Schlange kündet von deren Qualität, und Hunderte von Menschen ziehen Käsefäden.

Auf einer Messe wird kommuniziert, daß es nur so kracht. Und getrunken. Wer aber keine passablen Drinks oder konsensfähige Mampferei anbietet, bei dem wird auch nicht kommuniziert. Der sieht schnell alt aus – sowieso ein Branchenspezifikum: zuviel trinken, rauchen, nicht schlafen.

Einige Firmen haben Tischfußballgeräte aufgestellt, was freudig angenommen wird, zumal es einen doch wenigstens zwischenzeitlich von den immermüden „Und was machst du so?“-Gesprächen abschirmt. Denn man macht ja gar nichts bzw. alles wie immer, und im Grunde möchte es ja auch keiner wissen. Also ist Tischfußball eine prima Sache; echten Sportgeist zu fördern, zu fordern, zu ordern muß allerdings in die Hose gehen (wegen Trinken), und so sind Badminton-Court, Basketballkorb und Tischtennisplatte verwaist.

„Warst du schon da und da?“ fragen sich die Menschen nach der „Ach nee, du auch hier?“-Begrüßung. Da und da gibt es natürlich keine aufregende Musik, sondern bloß und zum Glück aufregende Drinks. Und so ergibt sich ein je individueller Parcours: Mit einer Schwerpunktverlagerung vom morgendlichen Kaffee über das weithin thematisierte „erste Bier“ bis hin zu allen weiteren Bieren, Spaßschnäpsen, Sekten und Shortdrinks im Anschluß. Weil die Menschen so schwitzen, müssen sie nicht dauernd pinkeln, und das ist ganz gut, denn die Klos scheinen rar. Am nicht unkuriosen Dänemarkstand gibt es sogar Starkbier, was ebensowenig verwundert wie der schale Kaffee von Viva 2 und die bunten Gummibärchen von Viva 1, von denen einem ganz schlecht wird.

In der Ritterburg der Firma Virgin sitzt ein Reporter. Er trinkt (klar) und arbeitet (huch). Per Telefon gibt er offenbar eine Glosse durch, die nach „Nährwertsteuererhöhung“ und dem immerguten „Komm, Pop, komm schon“ tatsächlich zielgerade in einem althergebrachten Vokalaustausch mündet, der über Form die Bananenflanke zum Inhalt schlägt: Dies hier sei die größte „Musikmasse der Welt“. Masse, nicht Messe! Ein Klopfer! Kann man auch gleich bei der Frankfurter Buchmasse noch mal covern, so einen Jahrhundertgag. Es soll aber bloß aufgepaßt werden, daß der Witz in der Korrektur nicht flötengeht, mahnt der Herr noch. Nimmt einen Schluck Bier und lügt: „Alles klar.“

Generell ist es so: Kleinere Labels haben muffigere Kühlschränke, denen man ansieht, daß in ihnen schon manches moderte, selten bis nie aber der gute alte Chartseinstiegschampagner. Zumeist wird sich zudem auf ein Getränk spezialisiert, nicht selten Bier. Alkoholfreie Getränke sind ohnehin eine weiche Währung. Die größeren Plattenfirmen haben gutgeschultes Ausschenkpersonal, das jedem nahezu jeden Getränkewunsch erfüllt, die Kühlschränke sind groß, sauber und haben sogar durchsichtige Türen. Bei den kleinen Labels ist die Ausgabe limitiert, hier muß man zum Teil sogar ein Anliegen haben (in der Sache!) oder ein alter Freund sein, um überhaupt mittrinken zu dürfen.

Und weil der Kölner an sich maßlos ist, ist der Messe nicht zu entkommen. Das „Ringfest“ ist eine Fortsetzung ins Unendliche, ins Untrinkbare mit kölnklarer Reduktion auf den Kern: Saufen, Fressen, Quatschreden und laute Mistmusik. Benjamin v. Stuckrad-Barre

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen