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■ Türkei: Schwacher Protest der Islamisten nach SchulreformDrohende Marginalisierung Erbakans

Die islamistische Bewegung in der Türkei ist bei der ersten großen Bewährungsprobe in der Opposition durchgefallen. Die Bildungsreform der bürgerlichen Koalition, die am vergangenen Samstag vom türkischen Parlament verabschiedet wurde und auch die Schließung religiöser Schulen mit sich bringt, war über Monate Dreh- und Angelpunkt der Islamisten für die politische Massenmobilisierung. Die Abgeordneten der islamistischen Wohlfahrtspartei (Refah) haben sich im Parlament wacker geschlagen, und Parteichef Necemttin Erbakan hat brillante Reden geschwungen. Vergeblich. Der Massenprotest vor den Moscheen bleibt aus. Ein paar tausend Demonstranten, die sich Straßenschlachten mit der Polizei liefern, sind ein mageres Ergebnis für eine Bewegung, die antrat, die Gesellschaft umzuwälzen.

Erbakan und seine Mannen, die sich vor wenigen Monaten noch in Sicherheit wiegten, daß sie unter der von ihnen geführten Regierung Schritt für Schritt die Gesellschaft islamisieren können, sind heute in Gefahr, politisch marginalisiert zu werden. Hauptproblem ist nicht nur das drohende Verbot der Refah- Partei durch das Verfassungsgericht. Aus der Regierung gedrängt, steht die Partei vor einer Zerreißprobe. Diejenigen, die die Partei vor allem wegen ihrer Nähe zu den Pfründen der Macht schätzten, wenden sich von ihr ab. Und jene, die aus der Refah-Partei eine auf den Islam basierende Volkspartei nach dem Vorbild der christdemokratischen Parteien in Europa wollten, mucken gegen Erbakan auf. Es ist eben leichter, eine Partei zu führen, um die Linke zu bekämpfen und „staatstreue“ Freiwillige in den Polizeiapparat zu schleusen, als eine Partei zu führen, die mit Radikalität gegen das System steht.

Der politische Islam in der Türkei steht auf schwachen Füßen, weil er sich auf ersteres konzentriert hat. Als nach dem Grollen der Generäle das System die Islamisten zum Hauptfeind erklärte, steht die Bewegung entkräftet da. Erbakan traut sich noch nicht einmal, den Protest mittels seiner politischen Partei auf die Straße zu tragen. Als Organisator von Kundgebungen und Demonstrationen tritt sie nie in Erscheinung. Solch große Angst hat Erbakan vor den Generälen. Und die zeigen, wer Herr im Hause ist, wenn ein paar tausend Demonstranten nicht nur mit dem zweifachen Polizeiaufgebot, sondern – um der Symbolik willen, nicht, weil es zum Einsatz kommen wird – mit Militärkolonnen konfrontiert sind. Ömer Erzeren

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