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Triebschicksal Plattensammeln

Der Homosexuelle liebt nicht jeden Schlager: Im Schwulen Museum zeigt „Die Seligkeit liegt immer am anderen Ufer“ den Fanblick auf vierzig Jahre Herzschmerz- und Unterhaltungskultur  ■ Von Axel Schock

Schlager beliefern „die zwischen Betrieb und Reproduktion der Arbeitskraft Eingespannten mit Ersatz für Gefühle überhaupt, von denen ihr zeitgemäß revidiertes Ich-Ideal sagt, sie müßten sie haben“. Schrieb einst Theodor W. Adorno, dachte an die der verpönten Schlagermusik zugeneigte werktätige Masse und glaubte damit das Problem im Griff zu haben. Wahrscheinlich eher hilflos hätte der gute Frankfurter Mann diesem Dutzend schwuler Berliner Männer gegenübergestanden, die sich seit fünfzehn Jahren regelmäßig in privater Runde zum „Plattencafé“ treffen, sich gegenseitig Neuerwerbungen vorspielen, unsinniges Wissen austauschen und sich mit großer Begeisterung ihrem Triebschicksal hingeben: dem Sammeln von Schlagerplatten. Kaum einer von ihnen, der nicht mindestens 10.000 Singles sein eigen nennt, und zwar nicht irgendwelche, sondern insbesondere Raritäten und Kuriosa.

Was die Gruppe in ihrer Ausstellung im Schwulen Museum als eine „Reise in 14 Stationen“ präsentiert, ist nicht nur eine Leistungsschau der schönsten, abstrusesten, schrecklichsten Schätze aus der heimischen Musiktruhe, sondern zugleich ein selbstironischer Blick auf die eigene Leidenschaft, ein punktueller und sehr anschaulicher Versuch einer Soziologie des Schlagers im allgemeinen und der spezifischen Verbindung von Homosexualität und populärer Sangeskunst im besonderen.

Den Besucher der Museumsräume am Mehringdamm erwartet ein Erlebnispark der etwas anderen Art. Ein etwas mißratenes Ölgemälde eines gewissen Tobias Emskötter, das die Gesangsikone Connie Francis zeigt, begrüßt ihn am Eingang. Die (fast) kompletten Singles sämtlicher deutscher Beiträge sowie aller Siegertitel des Grand Prix d'Eurovision schlängeln sich eine lange Wand entlang. Ein kleines Schild fordert unmißverständlich auf, frohgemut auf die am Boden liegenden Platten zu treten, handelt es sich doch um ausgewählte Haßplatten des Schlagerclubs. Und da zeigt sich dann auch schnell, daß der homosexuelle Liebhaber eingängiger Melodien sich zwar gerne Liedern mit gepflegtem Endreim, Herzschmerz und großem Orchester hingibt, aber mit dem Hossa!-Kult, Ballermann und 70er-Jahre-Schlager-Revival nicht viel am Hut hat. Nana Mouskouri, Karel Gott, Peter Rubin, Heintje und Heino – sie alle müssen sich hier mit Füßen treten lassen. Da hilft kein Kult und kein Hitparadenerfolg. Dafür aber kriegt Barbra Streisand eine Fan- Ecke samt Devotionalien-Schrein. Eine illustre Zusammenstellung zeigt, daß es ein Jahrzehnt gab, in dem fast jede/r seinen/ihren Johnny besang. Eine Hafenmolen- Filmkulisse, en detail liebevoll nachgebaut, erinnert an die unzähligen Lieder von Seemännern, Ferne und Sehnsucht und nicht zuletzt an den erfolgreichen Griechenland-Export Mouskouri, die mit einem Fernsehauftritt 1964 die Mole als unverzichtbaren Topos in die Schlagerwelt einbrachte.

Daß die angeblich leichte Muse sich über Jahrzehnte durchaus gesellschaftspolitisch versteht, zeigt eine „Protestchronik“ des Schlagers: Jahr um Jahr, bis hinein in die Neue Deutsche Welle, gab es Forderungen nach mehr Frauengleichberechtigung, mehr Umweltschutz und weniger Atomraketen, teilweise chartstauglich oder unfreiwillig komisch.

Und was ist daran nun schwul? fragt sich an dieser Stelle der aufmerksame Leser. So richtig erklären kann und will das niemand. Vielleicht ist es die Liebe zum schrecklich Schönen und schön Schrecklichen. Sigmund Freud hingegen konstatierte eine direkte Verbindung zwischen homosexueller Analfixierung und Sammelwut, und wahrscheinlich kann auch nur ein Schwuler auf die fixe Idee kommen, Polydor-Singles nach Produktionsnummern zu sammeln. Nun hängen sie, fein säuberlich angeordnet, deckenhoch und zimmerbreit im Schwulen Museum aus – und dabei gibt es noch schmerzhaft klaffende Lücken in der Sammlung!

Aber dann wird's doch noch richtig schwul. „Mike und sein Freund“, ein legendärer Schlager des Bernd Clüver, war in Wirklichkeit eine Coverversion von „The Rubettes“. Und während im Original ein Billy seiner unglücklichen Veranlagung wegen von Vaters Hand erschlagen wird, hat Clüver seinen verzweifelten Mike sich selbst das Leben nehmen lassen. Einige Jahre zuvor hatte sich schon einmal ein Sänger mit schwuler Offenheit auf die Plattenteller gedrängt und als „Detlev“ mit tuntig gehauchter Stimme „So schwul kann doch kein Mann sein“ auf Vinyl pressen lassen. Ein unsägliches Machwerk und vielleicht gerade deswegen ein rares Sammlerstück. Gemeinerweise ist dies die einzige Hörprobe dieser Ausstellung, die man sich per Kopfhörer als Endlosband zu Gemüte führen kann.

„Der Plattenspieler ist die Gebetsmühle des von Weltangst befallenen Zivilisationsmenschen. Der Schlager ist seine betäubende Litanei.“ Schreibt ein gewisser Arthur Maria Rabenalt 1959 in seiner Abhandlung über „Die Schnulze“. Er muß Detlev gemeint haben.

Bis 26. Oktober, Schwules Museum, Mehringdamm 61, Mi.–So. 14–18 Uhr, Führungen jeweils samstags, 17 Uhr

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