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■ Die RechtslageDas letzte Wort hat der Patient

„Halbgötter in Weiß“ – das Klischee für den Ärztestand hält sich hartnäckig, doch zumindest zur deutschen Rechtslage paßt es derzeit noch nicht: Kein Arzt ist hierzulande befugt, sich zum Herrn über Leben und Tod aufzuschwingen. Was für alle gilt, gilt auch für MedizinerInnen: Sie dürfen nicht töten.

Das Strafgesetzbuch verbietet die „Tötung auf Verlangen“, weshalb ein Arzt, der einen Patienten nach dessen Aufforderung zu Tode spritzt oder ihm eine todbringende Infusion verabreicht, mit einer Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren rechnen muß. Gleichwohl können MedizinerInnen in Ausnahmefällen Leben verkürzen, ohne Strafverfolgung fürchten zu müssen: Sie dürfen PatientInnen, deren Tod unmittelbar bevorsteht, zwecks „Linderung des Leidens“ auch solche Schmerzmittel geben, deren Nebenwirkungen den Eintritt des Todes beschleunigen können. Diese Praxis steht zwar nicht im Gesetz, wird aber in Standes- und Richterrecht für zulässig gehalten: Der Bundesgerichtshof bestätigte die Legitimität der „indirekten Sterbehilfe“ erstmals im November 1996, zuvor war sie bereits in den Sterbebegleitungsrichtlinien der Bundesärztekammer gebilligt worden.

Niemand ist in Deutschland gezwungen, sich medizinisch versorgen zu lassen. Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung bestimmt der Patient selbst, ob er behandelt werden möchte oder nicht; das gilt für jeden ärztlichen Eingriff. Entscheidet sich der Betroffene gegen eine möglicherweise lebensrettende Behandlung, muß der Arzt diesen Willen respektieren – allerdings nur dann, wenn zwei unabdingbare Voraussetzungen erfüllt sind: Der Patient muß bei klarem Bewußtsein sein. Und der Arzt muß ihn umfassend informiert haben.

Allerdings liegt gerade in puncto Information einiges im argen: Erfahrungen ungezählter PatientInnen und mehrere Studien bestätigen, daß es an Aufklärung in Krankenhäusern und Arztpraxen häufig mangelt. Doch rein rechtlich ist die Selbstbestimmung des aufgeklärten, entscheidungsfähigen Patienten hierzulande sichergestellt.

Trotzdem fordern einige Juristen und Bioethiker immer lauter, das „selbstbestimmte Sterben“ überhaupt erst zu ermöglichen. Dabei zielen sie auf eine spezielle Gruppe: PatientInnen, die ihren Willen nicht äußern können und sich überhaupt nicht im Sterbeprozeß befinden. Gemeint sind zum Beispiel Menschen, die im Koma liegen oder an Demenz erkrankt sind. Bei solchen „nichtentscheidungsfähigen PatientInnen“, fordern die Euthanisiebefürworter, müßten ÄrztInnen an den sogenannten mutmaßlichen Willen des Betroffenen gebunden sein.

Eine klare Definition dieses Rechtsbegriffs fehlt; in der Konsequenz ist er nichts anderes als die Mutmaßung anderer (Angehöriger, Ärzte oder Richter) über den Willen, den der Bewußtlose in der konkreten Situation wohl zum Ausdruck bringen würde, wenn er sich äußern könnte.

Als wichtigstes Indiz für den vermeintlichen Wunsch nach dem todbringenden Abbruch einer Behandlung sollten nach Meinung der „Sterbehilfe“-Fraktion sogenannte Patientenverfügungen herangezogen werden – also schriftliche Erklärungen, die der Betroffene irgendwann vor Eintritt seiner Nichteinwilligungsfähigkeit zu Papier gebracht hat.

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